Technikgeschichte mit Naturgenuss

Wer wissen will, wie Berlin entstand, sollte in den Ziegeleipark Mildenberg im brandenburgischen Zehdenick fahren. Dort haben zwei neue Ausstellungen eröffnet, die über die Geschichte der für Berlin so wichtigen Ziegelherstellung informieren. Als sich Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Berlin in atemberaubendem Tempo zur Metropole entwickelte, brauchte die Reichshauptstadt vor allem eines: Baumaterial. Das Wichtigste waren Mauerziegel - mehr als eine Million Backsteine waren nötig, um ein durchschnittliches Berliner Mietshaus hochzuziehen. Ein erheblicher Teil dieser Ziegel stammte aus Mildenberg, einem 50 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Dorf. Dort fanden sich 1887 beim Bau einer Eisenbahnstrecke große Tonvorräte. Bald siedelten sich Fabriken an, und Mildenberg entwickelte sich zum wichtigsten Ziegeleirevier im Umfeld Berlins. 1910 sollen in den Mildenberger Fabriken nicht weniger als 625 Millionen Ziegel hergestellt worden sein. Auch in der DDR ging die Fertigung weiter; so stammen zum Beispiel die Backsteine für den Bau der Karl-Marx-Allee aus Mildenberg. 1990 jedoch wurde die Produktion eingestellt. Wie der technische Prozess der Ziegeleiherstellung verlief, wie die Ringöfen aussahen und unter welchen Bedingungen die Ziegler - so nannten sich die Ziegeleiarbeiter - schufteten, kann man aber immer noch nachempfinden - dank dem Ziegeleipark, der 1997 eröffnet und seither kontinuierlich erweitert wurde. Seit Beginn der diesjährigen Saison verfügt die weitläufige Anlage über zusätzliche Attraktionen: Zwei neue Ausstellungen nehmen den Besucher mit modernsten interaktiven Mitteln mit auf eine Zeitreise in die Industriegeschichte. Dabei beziehen die vom Berliner Architektenduo Tom Duncan und Noel McCauley konzipierten und realisierten Ausstellungen ihren besonderen Reiz aus der Konfrontation der Exponate mit der historischen Bausubstanz. So bildet ein denkmalgeschützter Ringofen den Rahmen für die Schau „Bausteine für Berlin". In ihr erfährt man anhand von Ausstellungsstücken und durch Dokumentarfilme Wissenswertes über die im Laufe der Zeit immer effizienter werdenden Produktionsmethoden - und kann an einem nachgebauten Gerät selbst ausprobieren, wie anstrengend die Arbeit der Ziegler war. Den Höhepunkt des Besuchs aber bildet ein zweiter Ringofen: Beim Betreten kann man mit einem gläsernen Backstein eine 80 Meter lange Runde im Ofen absolvieren. Der Clou: Dank einer elektronischen Vorrichtung verändert der Backstein permanent seine Farbe - genau so, wie das im Ringofen im Verlauf des Brennvorgangs tatsächlich der Fall war. Nicht weniger anschaulich ist die zweite neue Ausstellung, die sich in einem 1957 errichteten Gebäudeteil mit der DDR-Sozialgeschichte auseinandersetzt. In Videoprojektionen erzählen ehemalige Ziegler von ihrer Arbeit, während man im Hintergrund die echten, erhaltenen Maschinen sieht - eine eindrucksvolle Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart. Neu ist ferner ein Veranstaltungszentrum, das Tom Duncan und Noel McCauley im Obergeschoss eines der Ringöfen einrichteten. Es ergänzt ein Museumsareal, das auf ideale Weise Technikgeschichte mit Naturgenuss verbindet. Denn die jährlich etwa 40_000 Besucher können sich auch über eine Marina, einen Kleintierzoo und zahlreiche Spazierwege freuen - und nicht zuletzt über das Gasthaus Alter Hafen, das dazu einlädt, sich von den zahlreichen Eindrücken zu erholen.

Paul Munzinger

 

 

Informationen:
Ziegeleipark Mildenberg, Zehdenick (OT Mildenberg). Geöffnet bis zum 1. November. Einlass täglich 10 bis 17 Uhr.
www.ziegeleipark.de
www.duncanmaccauley.com

39 - Sommer 2009