Berliner Allerlei

Was darf‘s denn sein? Speckeierkuchen, Aal grün mit Gurkensalat oder Wurst im Schlafrock? Kitty Kahane und Brit Hartmann haben sich die Berliner Küche vorgenommen und daraus ein unterhaltsames Buch gemacht.

Berlin ist ein Schmelztiegel aus aller Welt, und die Berliner Küche ein Eintopf aus allem, was die Menschen, die hier mal ein Zuhause fanden, an Vorlieben so mitbrachten. Erst mal verbreiteten die Hugenotten französisches Flair in der Stadt. Dann blieben in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht wenige Künstler und Literaten hängen, schließlich lag Berlin an der Bahntrasse von Moskau nach Paris. Man kann sich vorstellen, dass so mancher Feinschmecker aus Ost und West seine Lieblingsgerichte kochte. Bis dann der Zweite Weltkrieg kam und Tausende von Menschen aus ihrem östlichen Zuhause vertrieb. Nicht selten endete ihre Reise in Berlin als zweiter Heimat. Egal, ob es preußische Offiziere, Menschen von Stand, Künstler oder Handwerker waren, die kamen und blieben, sie alle trugen im Herzen das, was ihnen lieb war: die Rezepte ihrer Mütter und Großmütter.
Stolzer Heinrich, Mohnpielen, Hoppelpoppel oder Arme Ritter, die Berliner Speisekarte klingt schon mal kurios. Unter uns und als Schleswig-Holsteinerin sei gesagt: Viele dieser Gerichte landeten auch an der Nordseeküste und gehörten zu meiner Kindheit ebenso wie Murmelspielen und Prellball. Natürlich hat sich die Vielfalt nirgendwo so verdichtet wie in der großen Stadt Berlin. Kitty Kahane, die Berliner Buch-Illustratorin und ihre schreibende Schwester Brit Hartmann haben sich genau diese sogenannte Berliner Küche vorgenommen und daraus ein Buch gemacht, das neu-europäischer Küche überdrüssige Kochlustige mal auf den Boden zurückbringen soll, auf dem sie so gern ihr Leben verbringen. Ein Koch-, Geschichten- und Bilderbuch für Erwachsene soll es sein, ob es nun Berliner Frischlinge, Alteingesessene oder nur von Zeit zu Zeit anreisende Fans sind.
„Guten Morgen Berlin!“ heißt das erste Kapitel und widmet sich einer fülligeren Frühstückskultur, als sie sich heute den Frühstückenden in Berlin bietet. Zeit genug wäre ja, so manches auszuprobieren, denn nirgendwo in der Republik wird so lange gefrühstückt wie in der Hauptstadt. Speckeierkuchen und Arme Ritter mit Pflaumenkompott, was kann man sich Köstlicheres wünschen an einem Samstagmittag nach dem Marktgang in einer Kneipe in unserem Kiez. Gibt’s aber nicht. Nicht, dass ich wüsste. Darum ist das Buch wundervoll, und die Rezepte sind prima übersichtlich und von Brit Hartmann gut erklärt. Kitty Kahane zeichnete dazu buntstiftbunt fliegende rosa Schweine überm Prenzlauer Berg oder freche Ritter auf Hausfrauenjagd. Weiter geht’s im Großstadttempo, und das macht hungrig. Her mit der Bulette, mit den „Verlorenen Eiern mit Senfsauce“. Oder doch lieber gleich eine „Klare Fischsuppe mit Hechtklößchen“? Das Buch zieht sich durch bis Mitternacht und lässt Kinderträume auferstehen. Es macht Lust auf die alte neue Berliner Küche.
Was kochte Muttern doch so schön! Kinderträume sind auch Kitty Kahanes Zeichnungen, und Brit Hartmann hat viele kleine Anekdoten zu den Rezepten gestellt. Darum ist dies Buch auch mehr als ein Kochbuch. Es ist ein liebevoller kultureller Rundumschlag, ein kulinarisch-literarischer Streifzug durch Berlins Küchen und Kneipen und eine Empfehlung, Pizza und Pasta mal stehen zu lassen und das eine oder andere Berliner Rezept zu Hause lustvoll zu zelebrieren.

Inge Ahrens

 

    Buchtipp

    Kitty Kahane (Zeichnungen) und
    Brit Hartmann (Texte+Rezepte):
    Kittys Berlin-Kochbuch
    Jacoby & Stuart, Berlin 2009
    160 S., 19,95 Euro
    ISBN 978-3-941087-74-3
 

 

41 - Winter 2009/10