Das Paradies. Nirgends

Das „Bestiarium“ von Walton Ford im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart.

Der Chef der Neuen Nationalgalerie, Udo Kittelmann, hat zum Jahresauftakt in Berlin eine schillernde Ausstellung arrangiert. Während eine illustre Affenhorde als Werbung für die monumentalen Tieraquarelle des Amerikaners Walton Ford von jeder Bushaltestelle prangt, gibt es ein lebendiges Für und Wider im Feuilleton. Gehören die bunten Bilder mit den dramatischen Tierszenerien im Stil klassizistischer zoologischer Lehrbücher in den heiligen Tempel der Kunst des 21. Jahrhunderts? Ja, meint Udo Kittelmann und wirbt dar-um, „den Tunnelblick auf die Gegenwartskunst“ aufzugeben. Da ist sie nun, die Affenrunde aus dem Bild „Sensorium“. Die Primaten sind um eine Tafel mit blauem Tischtuch versammelt und zelebrieren ein wildes Fressen. Viel Raum hat ihnen der Maler nicht gegeben. Die Plattform, auf denen das Spektakel missglückter Domestizierung stattfindet, ist eng bemessen wie ein Bühnenraum, von dem aus der Blick in illusionistische Landschaftsweite schweifen kann. Der Affe als Alter Ego des Menschen kommt häufig im Oeuvre des Künstlers vor. Mal liegt er auf einem Diwan als Sterbebett, mal an Ketten oder führt sich gerade ein Gewehr ins Maul. Darüber hinaus findet man Vögel, Wölfe, Tiger, Bären, Antilopen oder Leoparden – prachtvolle Tiere in dramatischen Situationen.
Die erstmals in Europa gezeigten Aquarelle des Amerikaners, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, faszinieren ob ihrer reichen Farbigkeit sowie der Furiosität des Dargestellten, die in sonderbarem Widerspruch zur detailgenauen Ausführung und Feinheit der Pinselführung steht.
Walton Ford, dessen Werk mit John James Audubon, dem amerikanischen Vogelmaler und dessen Werk „Birds of America“ in Verbindung gebracht wird, ist weniger ein Tier - denn ein Schlachtenmaler. Die Tiere fungieren dabei als schön-groteske Figuration seiner auf den Menschen bezogenen Gleichnisse. Jagen und fressen, Blutrausch und Schönheit, Gefangenschaft und Dämonisierung – bilderbogenbunt und in allegorischen Szenerien zeigt Walton Ford die Abgründe tierischer und menschlicher Existenz. Nirgends das Paradies! Dafür ein ästhetisches Verführungsspiel. „Le Jardin“/„Der Garten“ – ein Schlüsselbild. Wölfe überfallen einen grandiosen Stier. Das verwundete, archaische Tier beherrscht die zentrale Tafel des Triptychons. Es steht auf einer kreisrunden grünen Fläche einer herrschaftlichen Gartenanlage, die von Blut getränkt ist.
Walton Ford, 1960 geboren, ist in New York aufgewachsen. Er studierte dort an der Rhode Island School of Design und lebt  derzeit mit seiner Familie in Great Barrington. Der Naturliebhaber sammelt Textzitate aus historischen Reiseberichten, Zeitungen und Büchern und kommentiert mit seiner Auswahl das Weltgeschehen seit den Weltentdeckungsreisen der Kolonialepochen. Bild und Text stehen dabei in einem symbiotischen Zusammenhang, wobei mittels Komposition und Monumentalisierung dem Bild eine eigenständige Wirkungsmacht gegeben wird, die über die illustrativen enzyklopädischen Lithographien des 19. Jahrhunderts hinausweist. So etwa die großformitige Arbeit „The Island“ – ein an Arnold Böcklins „Toteninsel“ erinnerndes Blatt, das von einem Knäuel ineinander verbissener Tiger und Schafe beherrscht wird. Das Bild wird von einer tasmanischen Zeitungsmeldung von 1887 begleitet, in der die Abschlachtung der Tiger im Interesse der Schafhirten dargelegt wird. Der tasmanische Beuteltiger wurde schließlich ausgerottet. Im Bild erscheint er als ein Fabelwesen, mehr Wolf als Tiger. Die schwierige Balance des Miteinanders von Mensch und Tier zielt in die Gegenwart und berührt beispielsweise hier in Berlin auch eine ganz gegenwärtige Debatte um die neu angesiedelten Wölfe in der Lausitz.
Vor allem aber ist es der Mensch, so erzählen Fords Bilder/Geschichten, der mit seinen Bedürfnissen in den  Naturraum eingreift: Da drängen Erkenntnis- und Dressurwille, da walten Bedrohungsgefühle und Unwissenheit. Menschen berauschen sich an der Schönheit und erjagen Trophäen. Bei allem geht es um Lustgewinn.
Ernest Hemingway, der große Erzähler des zwanzigsten Jahrhunderts, schrieb 1954 im Buch „Die grünen Hügel Afrikas“, es schmerzte ihn, einen Rappenantilopenbock nur angeschossen zu haben. Schuldgefühle breiteten sich über die Begehrlichkeit: „Ich wollte ihn haben, verflucht noch mal. Ich wollte ihn haben, mehr als ich je zugeben würde.“ Walton Ford nimmt die Textpassage für sein Bild „Lost Trophy“ und malt eine verführerische Antilope, deren Gehörn schwungvoll ein Drittel des Blattes füllt. Das Antilopenauge erscheint groß und lebendig todtraurig auf den Betrachter gerichtet.
Anita Wünschmann


Ausstellung

Walton Ford – Bestiarium
23.1. bis 24.5.2010

Nationalgalerie im Hamburger
Bahnhof – Museum für Gegenwart
Invalidenstraße 50 - 51
10557 Berlin

Öffnungszeiten
Di – Fr    10 bis 18 Uhr
Sa         11 bis 20 Uhr
So          11 bis 18 Uhr
 

42 - Frühjahr 2010