Skizzen in Licht getaucht

Nationalgalerie und Akademie der Künste zeigen erstmals Carl Blechens berühmtes Amalfi-Skizzenbuch

Im Atelier Schinkels hatte sich der 17 Jahre jüngere Carl Blechen spontan für die italienische Landschaftsmalerei begeistert. Und er benahm sich dort so jugendlich ungestüm, dass er schon mal seine Finger in die herumstehenden Farbtöpfe tauchte, um schnell eine Idee zu skizzieren. Immerhin reichte das aus, den berühmten preußischen Baumeister zu beeindrucken, der Blechen ebenso spontan als Malgenie ausmachte.
Der am 29. Juli 1798 in Cottbus geborene Carl Blechen ist 1815 nach Berlin gekommen, um eine Lehre als Bankkaufmann zu absolvieren. Im Alter von 25 entscheidet er sich, die gesicherte bürgerliche Existenz aufzugeben: Landschaftsmaler zu werden, ist seine Berufung. Ein Genre, in dem Maler wie Caspar David Friedrich und der Norweger Johan Christian Clausen Dahl längst neue Zeichen gesetzt haben. Wie Schinkel erkennt auch Schadow in Blechen das junge Mal-talent und sorgt für dessen Aufnahme in die Akademie. Blechen malt bei Dahl in Dresden und betreibt Naturstudien im sächsischen Raum, bis er 1828 nach Italien reist.
Gemeinsam mit dem Berliner Maler Leopold Schlösser hält er sich u.a. in der Gegend um Amalfi auf, wo seine berühmten Skizzen entstehen. Doch in Italien sind es nicht die Kulturbauten, die den Maler inspirieren, sondern die übermächtig wirkende Natur mit ihren Schluchten und Berghängen. Er setzt die ländliche Architektur ins Bild, die einfachen Häuser, die Brücken und Fabriken an den Wasserläufen. Sein Abrücken von der in der Berliner Kunstszene dominierenden romantiktümelnden Kunstauffassung zeigt sich besonders an den lichterfüllten Skizzen zum Mühltal von Amalfi. Nach dem Blatt „Bergschlucht“ entsteht später das groß-formatige Hauptwerk „Schlucht bei Amalfi“ in Öl im kontrastreichen Licht- und Schattenspiel. Es zeigt das Gebäude des Eisenhammers mit rauchendem Schornstein neben dem her-abstürzenden Bach, zusammen mit zwei Holzfällern als Menschenwerk.
Das „Amalfi-Skizzenbuch“, so benannt von Paul Ortwin Raves, in den 1920er Jahren amtierender Direktor der Nationalgalerie, besteht aus 66 Bleistift-, Feder-, Aquarell- und Sepiazeichnungen. Es ist Ausdruck einer außergewöhnlichen Zeichenkunst. Zwar war der Genius Carl Blechen damals in einem kleinen Kreis von Kennern unumstritten, doch das zeitgenössische Berliner Kunstpublikum verstand seine realistischen Landschaftsbilder eher als Affront gegen das schöne „Antlitz der Natur“. Für den hochsensiblen Maler dagegen ist eine Wanderung in der Natur wie eine Seelenwanderung. Er malt all das in einer Landschaft, was seine Sinne bewegt. Aber er malt es auf eine neue Weise: Die romantische Szenerie wirkt lebendig und gleichzeitig gefährdet, dramatisch oder spirituell. Dass ein solcher Maler mangels Unverständnis an Selbstzweifeln zerbricht, ist nicht verwunderlich. Nach einer längeren Phase in geistiger Umnachtung stirbt Carl Blechen im Alter von nur 42 Jahren.
Die Blätter des Amalfi-Skizzenbuchs, bis 1993 noch aufgeteilt im Besitz der Akademien der Künste in Ost und West, gehören zu Blechens Nachlass und sind nun erstmals vollständig in der Alten Nationalgalerie zu sehen.
Reinhard Wahren


Ausstellung

Mit Licht gezeichnet. Das Amalfi-Skizzenbuch von Carl Blechen

Noch bis 11. April 2010

Alte Nationalgalerie
Museumsinsel, Bodestraße 1-3
10178 Berlin
 

42 - Frühjahr 2010