Von Fürsten, Mönchen und Hirschen

Naturerlebnis am Fuße des Karwendel: Golfen am Achensee in Tirol.

Es war die Jagdleidenschaft, die Fürst Sigismund ins waldreiche Tal der Ache lockte. Und weil der Adlige nach erfolgreicher Hirsch- oder Gemsenjagd gern ein festes Dach überm Kopf hatte, ließ er auch gleich, unmittelbar am Ufer des Achensees beim Bergbauernweiler Pertisau, ein standesgemäßes, massiv gebautes Jagdhaus errichten. Das war im 14. Jahrhundert, und das „Fürstenhaus“ behielt seinen Namen durch alle Zeitläufte, egal ob es später Kaiser Maximilian persönlich als Ausgangspunkt für seine hochalpinen Jagdausflüge diente oder ob es irgendwann die Benediktiner in Besitz nahmen.
Die  Mönche waren es, die etwa um 1850 damit begannen, die feudale Herberge gegen Bares auch durchreisenden Gästen tage- oder wochenweise anzubieten. Und so brachten die frommen Brüder eine neue, zukunftsträchtige Branche in das entlegene, aber berückend schöne Tal mit dem größten und – mit geradezu unheimlichen 134 Metern – tiefsten See Tirols: den Fremdenverkehr.
Der Alpentourismus wuchs rasant, und mit ihm das „Fürstenhaus“ am Achensee. Als um 1900 öfter ein berühmter Gast namens Sigmund Freud zur Sommerfrische hier weilte, gab es am Achensee bereits fünf Luxushotels der höchsten Kategorie, und das „Fürstenhaus“ zählte dank diverser Anbauten stattliche 150 Gästezimmer – 30 mehr als das 4-Sterne-plus-„TravelCharme Fürstenhaus am Achensee“ heute.
Unangetastet geblieben ist die einzigartige Lage unmittelbar am Seeufer, die dereinst schon der Fürst, der Kaiser und Sigmund Freud genossen. Nach dem Fürstenhaus durfte nie wieder ein Haus, geschweige denn ein Hotel, direkt am Wasser gebaut werden. Grundsätzlich gilt an Tiroler Seen öffentliches Wegerecht, führt in aller Regel ein frei zugänglicher Wanderweg am Ufer entlang. Mit einer Ausnahme: Beim Fürstenhaus macht der Rad- und Wanderweg einen ehrfürchtigen großen Bogen um das Hotelgrundstück. Kein neugieriger Zaungast kann die gediegene Ruhe beim Frühstück auf der Hotelterrasse stören; und der hochmoderne, verglaste Wellness-Bereich ragt sogar einige Meter freischwebend auf den See hinaus.
Die Gründe dafür, dass sich die exklusive Uferlage aus feudalen Zeiten in die republikanische österreichische Gegenwart hinüberretten konnte, reichen so tief wie die Wasser des Sees: Nachfolgerin von Fürst, Kaiser und Mönchsorden als Besitzerin des Fürs-tenhauses ist nämlich die Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), eine der politisch einflussreichsten Institutionen im ganzen Bundesland Tirol. Und die Fremdenverkehrsgemeinde Pertisau hat der mächtigen TIWAG noch mehr zu verdanken als eine Top-Wasserqualität im Achensee und ihr historisches Vorzeigehotel.
Dr. Leopold von Pasquali, seinerzeit Direktor der Tiroler Wasserkraftwerke, war es, der schon in den frühen dreißiger Jahren erkannte, dass dem aufstrebenden Achensee-Tourismus ein weiteres Standbein neben dem Wasser- und dem Wintersport gut tun würde. Er tat sich mit einem Dutzend anderer nicht unvermögender Herren zusammen und gründete den Golf- und Landclub Achensee, den ersten Golfclub in Tirol und den zweitältes-ten in ganz Österreich. Von Pasqualis Vision, seinem Geld und Arbeitern der Wasserwerke war es nicht zuletzt zu verdanken, dass 1934 auf dem Talgrund zwischen See und Karwendel ein veritabler 9-Loch-Platz eröffnet werden konnte.
Der auf knapp tausend Meter Seehöhe gelegene, 2003 auf 18 Löcher erweiterte Alpenkurs gilt als einer der landschaftlich schönsten in ganz Österreich. Die schroffen, bewaldeten Hänge des Karwendelgebirges bilden bei der Golfrunde eine spektakuläre und wahrhaft erhabene Kulisse. Die Fairways schlängeln sich großenteils als breite Waldschneisen in einem sanften Auf und Ab durch den alten Baumbestand aus Lärchen, Fichten und Buchen. Dennoch ist der Platz alles andere als ein sportliches Leichtgewicht. Mehrfach sind sehr lange und gerade Abschläge gefragt, weil sonst dem zweiten Schlag in Richtung Grün ein mächtiger Baum oder gar eine ganze Waldecke im Weg steht. Mehrfach queren die Spielbahnen Wasserläufe, die je nach Wetterlage Rinnsale oder auch reißende Gebirgsbäche sein können. Und an der 16 ist Longhitters Mut gefragt, um nicht vorzulegen, sondern mit einem gewagten Abschlag die recht schmale Schneise über eine breite Schlucht zu überwinden.
Von der großen Terrasse des 2007 am Dorfrand gebauten gemütlichen Clubhauses im Tiroler Stil überblickt man nur die Bahnen 1 und 18, die sich durch eine Hangwiese ziehen. Zum großen Hauptteil des Golfplatzes führt ein kleiner Fußmarsch an den letzten Häusern vorbei und in den Wald hinein. Genau hier, in der Tristenau am Rande von Pertisau, beginnt  der Alpenpark Karwendel, der bis ins 60 Kilometer entfernte Garmisch-Partenkirchen reicht.
Michaela und Christian Altenberger sind heilfroh, dass der herrlich in die Landschaft vor der gewaltigen Bergkulisse eingefügte Golfplatz jetzt in aller Pracht als 18-Loch-Platz existiert (5624 Meter, Par 71) und in den Sommermonaten zahlreiche Greenfeespieler vor allem aus Deutschland anlockt. Die Altenbergers betreiben das Fürstenhaus am Seeufer, und der Anteil der Golfer an den Hotelgästen wächst seit Jahren kontinuierlich: „Golf und Wellness in allerschönster Alpenlage zwischen Bergen und See, das ist eine unschlagbare Mischung“, sagt der Hoteldirektor, der selbst nah dran ist am einstelligen Handicap und das Clubleben mit eigenen Gäste-Turnieren bereichert.
Einen guten Tipp für Gastspieler, den man unbedingt beherzigen sollte, hat Christian Altenberger: Nicht die vielen Bäume, Doglegs und Wasserhindernisse seien das Hauptproblem des Platzes, sagt er, und auch nicht das dichte Rough, das man tunlichst vermeiden sollte. Das alles könne man mit taktisch klugem Spiel bewältigen. Nein, die größte Schwierigkeit, sagt Altenberger, sei die Schönheit der Berge ringsum: „Das Panorama lenkt ständig vom konzentrierten Spiel ab – man muss sich einfach zwingen, es beim Schlagen für ein paar Sekunden auszublenden.“
Leicht gesagt. Zumal es, insbesondere am frühen Morgen oder gegen Abend, wenn die Sonne sich hinter dem Karwendel verkriecht, gut und gerne passieren kann, dass sich ganz leise ein paar Hirsche und Rehe zu den Golfern am Rande des Alpenparks gesellen. Spätestens dann weiß man: Wäre Fürst Sigismund nicht schon gute 600 Jahre tot, der erste Chef des Fürstenhauses käme sicher wieder ins schöne Tal der Tiroler Ache. Dieses Mal allerdings möglicherweise nicht als Jäger.

Wolfgang Weber

 

42 - Frühjahr 2010