Poesie des Lichts

Der einst prominenteste „Lampenladen“ in Mitte ist abgerissen. Ein immerhin Namen prägendes Stilelement des einstigen Palastes der Republik waren seine opulenten Kugelleuchten – wo findet man diese jetzt?

Echte Lampengeschäfte wiederum gibt es in erstaunlicher Vielzahl. Dort begegnet man unvermutet der tradi-tionellen Stehlampe mit Kegelschirm und Troddelborte, als würde man überraschend seine Tante Martha wiedersehen. Alternativ dazu vermehren sich stadtweit die Adressen für zeitgenössisches Lichtdesign, denn Licht ist eben eine Hauptquelle des Wohl- oder Unwohlgefühls in den eigenen vier Wänden, und darüber hinaus avanciert es mit der Breite der technologischen Möglichkeiten zum signifikanten Stilmittel des 21. Jahrhunderts.
Aber es geht längst nicht mehr um Schönheit und Selbstausdruck allein. Vor allem die Energiespardebatte offeriert, dass fast nichts wichtiger sein kann, als sich für die richtige Beleuchtung zu entscheiden. Seit die Glühlampe selbst unter Protest von namhaften Designern auf dem Index der umweltunfreundlichen, nicht benutzbaren Dinge gelandet ist, muss man beleuchtungstechnisch und -ästhetisch umdenken, obwohl auch höchst bescheidene Menschen Traditionen retten und aus Restbestands-Hamsterkäufen „Sechziger“ und „Hunderter“ für zukünftiges Seelenheil horten. Radikale Modernisierer allerdings schrauben schon seit langem Sparbirnen in jede Lampe, was gelegentlich dem sportlichen Wettkampf zwischen Partnern dient und durchaus ein eigenes Spannungspotential hat.
Die „LEDs“ wiederum, deren Technologie ein aufregend minimalistisches Design, die Reduktion auf Punkt und Linie, ermöglicht, sind vom Blauweißlicht in die nächste Generation eines wärmeren Tons hinübergewachsen. Sie brauchen aber noch Zeit, ehe sie sich allseitig unseres Wohlbefindens annehmen dürfen. Im Bericht der Stiftung Warentest heißt es lakonisch: „Die Lampen erzeugen viel Licht aus wenig Strom. Wer alte Glühbirnen durch LED-Lampen ersetzt, spart viel Strom. Gut für die Umwelt. Für den Geldbeutel noch nicht. Die LED-Lampen selbst sind so teuer, dass sich die Investition nur selten bezahlt macht.“
Das moderne Wohnen orientiert auf eine Dualität von indirektem und direktem Licht. Private Lichtinszenierungen zwischen taghell und verträumt, farbenfroh und monochrom, punktgenau und den Raum durchflutend, gehören zu den Angeboten. Lampen zeigen sich als geometrische Körper, als dreidimensionale Freihandzeichnung oder symbolhaft und sind in ihrer Mannigfaltigkeit kaum zu übertreffen. Es wird gewickelt und gewalkt, Glas geblasen und sandgestrahlt, Papier geknautscht, Stahl gebürstet und Aluminium beschichtet. Gulliver bei den Zwergen oder bei den Riesen: Monumentalisierung und Miniaturisierung wetteifern mit poetischen Phantasien und skulpturalen Objekten. Schwarze Spinne („Dear Ingo“/Mooi), Mohnblüte oder Spirale? Der klassische Kronleuchter läuft quasi außer Konkurrenz. Voluminös oder filigran ist er ob seines zeremoniellen Lichts weithin beliebt. Neuerdings wird er aus Holz gefräst. Die Geschichte des Lampendesigns pendelt von funktionalen zu Retro-Stilen, wie etwa zu den schrägen bunten Tüten aus den Fünfzigern. Als ein neuzeitliches Prunkstück postmoderner Provenienz mag Philippe Starcks Kalaschnikov-Tischlampe „Lounge Gun“ gelten. Italiener punkten mit Seeigelgebilden, die unter der Decke schweben, und Skandinavier variieren Ei- und Tropfenformen oder zersägen den Wald („Wood Lamp“ vom schwedischen Büro Taf für Muuto). In Anbetracht der „Artenvielfalt“ des Lampendesigns mag man sich nach bewährter Schönheit sehnen. Etwa nach der Bauhaus-Tischleuchte „WA24“ von Wagenfeld, die seit des neunzigjährigen Bauhaus-Jubiläums 2009 ein furioses Comeback feiert. Für mehrere Generationen stilbewusster Intellektueller ist Artemides „Tolomeo“ ein Innungszeichen. Ihr funktionales Silbergrau verschönt landauf, landab den Schreibtischdienst – nun auch mit modernem Leuchtmittel. Der Lichtpoet Ingo Maurer huldigte in seinem frühen Schaffen der puren Form mit der Tischleuchte „Bulb“, indem er die Gestalt der Glühbirne verdoppelt und mit sündhaft schönen 100 Watt eine Kristallglashülle zum Strahlen bringt. Nach der Hässlichkeit der ersten Energiesparlampen aufersteht nun erst recht die formvollendete Rundlichkeit der Birne in diversen umweltfreundlichen Lichtspielarten. Dazu gehört auf jeden Fall die Leuchte „Thesecondlight“ des Designers Vondom.
Anita Wünschmann

43 - Sommer 2010