Der lange Weg nach Montevideo

Der Gedanke einer Fußball-Weltmeisterschaft ist viel älter als die erste Auflage. Doch bis zum Treffen 1930 in Uruguay mussten zahlreiche Wogen geglättet werden. Auch einen Pokal gewann damals die beste Mannschaft. Die Trophäe hat anschließend einiges durchmachen müssen. Es ist nur einem Hündchen zu verdanken, dass sie nicht schon in den 60er Jahren eingeschmolzen wurde.

Es ist Fußball-Weltmeisterschaft, und keiner will hin. Das ist nicht der Witz eines Provinzsenders zum 1. April, sondern das Abwinken der nationalen Verbände für das erste Championat 1930 in Uruguay. Als hätte es nicht ohnehin viel zu lange gedauert vom schriftlichen Bekenntnis bis zur Umsetzung. Bereits am 21. Mai 1904 hatten sich in einem unscheinbaren Haus der Pariser Rue St. Honoré acht ältere Herren getroffen und nach kurzer Diskussion die „Fédération Internationale de Football Association“ gegründet, jenen Verein, der heute als FIFA mehr Menschen auf der Welt ein Begriff ist als die UNO. In ihrer Satzung hatten die Herren festgehalten, dass jene FIFA regelmäßig Weltmeis-terschaften veranstaltet.
Also legte man auf der späteren Pressekonferenz ein Papier aus, auf dem sich alle Bewerber für solch ein Turnier eintragen durften, um danach den Veranstalter auszuwählen. Als die Lis-te eingesammelt wurde, war sie leer. Kein Verband sah sich in der Lage, das Geld für eine Weltmeisterschaft aufzubringen. Doch während der Gedanke an ein weltumspannendes Turnier in den Hinterköpfen der Funktionäre gärte, wuchs die FIFA. Nur das selbsternannte Mutterland des Fußballs schmollte lange. England trat mal ein, mal wieder aus, und fühlte sich brüskiert, als die erste Weltmeis-terschaft 1930 ausgerechnet nach Uruguay vergeben wurde. Die Süd-amerikaner setzten sich gegen die Mitbewerber Italien, Spanien, Schweden, Holland und Ungarn durch, weil sie neben ihren beiden Olympiasiegen 1924 und 1928 auf den 100. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit pochten.Das war den Europäern zu happig. Lediglich Jugoslawien, Belgien, Frankreich und Rumänien machten sich auf die monatelange Schiffsreise, luden unterwegs die Brasilianer ein und wunderten sich, dass die Neger jener Mannschaft mit den anderen Spielern an einem Tisch sitzen durften. Zu bestellen hatten die Europäer in Montevideo nichts. Lediglich Jugoslawien erreichte das Halbfinale, wurde aber dort von den Gastgebern 6:1 ausgetanzt. Also tingelten die vier überseeischen Nationalmannschaften noch zu ein paar Freundschaftsspielen durch Südamerika, um die Reisekasse ausgeglichen zu gestalten, und schifften sich in die alte Heimat ein.
Die Gastgeber behielten durch ein 4:2 im Endspiel über Nachbar Argentinien den als Wanderpokal ausgeschriebenen ersten Preis, eine Götterstatue aus purem Gold. Sie war vom ersten FIFA-Präsidenten, dem Franzosen Jules Rimet, gestiftet und nach ihm benannt worden. Behalten sollte ihn jener Verband, der als erstes dreimal den alle vier Jahre ausgespielten Titel gewinnen würde. Bis dahin musste noch einige Zeit vergehen, und fast hätte der Pokal jene endgültige Übergabe im Jahr 1970 nicht erlebt.
Vor den Titelkämpfen 1966 in England war das Stück, mit umgerechnet 335.000 Mark versichert, Prunk einer Briefmarkenausstellung. Doch mitten aus der britischen Hauptstadt wurde die Göttin gestohlen. Scotland Yard stand vor einem Rätsel und hatte keine heiße Spur. Selbst ein Drohbrief, den Goldpokal einzuschmelzen, wenn nicht dafür ein Lösegeld von 15.000 Pfund Sterling gezahlt würde, brachte die Bobbys nicht weiter. Als man sich daranmachte, ein Imitat herzustellen, schnüffelte sich ein Hündchen namens Pickles in die Geschichtsbücher. Die schwarz-weiße Promenadenmischung ging an der Hand ihres Herrchens David Corbett Gassi. Plötzlich scharrte Pickles in der Erde und förderte einen Batzen Zeitungspapier ans Tageslicht. Eingewickelt darin war die 30 Zentimeter hohe Goldstatue. Zum Eröffnungsspiel der WM zwischen England und Uruguay saß das Hündchen neben seinem Herrchen, dem 26 Jahre alten Barkassenführer David Corbett, in der Ehrenloge des Wembley-Stadions.
Nach der WM konnte der „Cup Jules Rimet“ ordnungsgemäß an die englische Mannschaft übergeben werden, die sich den Titel gesichert hatte. Das von den nie gefundenen Dieben auserkorene Schicksal blieb dem Pokal aber nicht erspart. Den Brasilianern wurde die Trophäe in den 80er Jahren gestohlen. Sie ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Weil auch hier kein Lösegeld gezahlt wurde, nimmt man an, dass der erste WM-Pokal eingeschmolzen wurde und nicht mehr existiert.
Hans-Christian Moritz
 

43 - Sommer 2010
Sport