Geteilte Pracht

Zu Besuch in Istanbul, Europas Kulturhauptstadt 2010

Im Park von Emirgan, hoch über dem Bosporus und stadtauswärts auf der europäischen Seite an Istanbuls breitem Strom gelegen wie an der allerschönsten Riviera, blüht ein prächtiger Garten. Wer glaubt, dass die berühmteste Stadt der Türkei nur mit alten Palästen, quirligen Basaren und ultramodernen Hochhäusern aufwartet, der ist noch nie stadtauswärts gefahren. Ob nun im Zickzack mit einer der Fähren übern Fluss, mal nach Europa, mal nach Asien, oder mit dem Taxi an einem der Ufer entlang, Istanbuls allerschönste Sommerfrische ist nur einen Katzensprung weg von der brodelnden historischen Mitte. Dicht an dicht wie ein ausgerollter Teppich aus orientalischen Mustern stehen Blumen und ziehen sich prachtvoll und strotzend hügelan und hinab unter den Bäumen des Emirgan-Parks.
In Emirgan, dieser historischen Grünanlage aus dem 16. Jahrhundert, blühen mehr als 120 verschiedene Pflanzenarten. Durch die Bäume sieht man unten den großen Fluss glitzern. Bei so viel Opulenz hatte auch der Orient beim Bepflanzen seine Finger im Spiel und erfüllt damit gleich unsere schönsten Erwartungen. Schließlich sind wir in Istanbul, und das Osmanische Reich hat überall seine reichen Spuren hinterlassen. Bei aller Hinwendung Istanbuls zur Moderne reizen am meisten doch die duftenden Märkte, die alten Sultansgemächer und köstlichen Speisen. Istanbul rührt ans Gefühl, ganz besonders beim Anblick des Bosporus, der die Stadt in Europa und Asien teilt. Der Bosporus ist die Hauptschlagader. Flink kreuzen die Fähren zwischen den dicken Pötten hin und her.
In diesem Jahr ist Istanbul Kulturhauptstadt Europas. Alle Welt schaut auf die Meerumschlungene: Bosporus, Goldenes Horn, Schwarzes und Marmarameer. Es gibt wohl kaum einen spannenderen Ort auf dieser Welt, oder eine Stadt, die des Kulturhauptstadt-Titels so wenig bedarf wie Istanbul. Istanbul ist einfach immerzu, und das schon seit Jahrhunderten, ganz selbstverständlich Kultur pur. Wer im Sommer kommt, sollte sich ihr über die Gärten nähern. Wer kennt schon Istanbuls Gärten? Mal abgesehen von den Kulturschätzen auf beiden Seiten des Flusses und den immerzu verstopften Straßen und Brücken, wird die Stadt Richtung Schwarzes Meer immer reizvoller und kapriziöser. Man lässt los und ist froh, dem Menschengewühle für eine Weile entronnen zu sein.
Auch im Emirgan-Park steht schließlich ein herrliches Holzhaus aus osmanischer Zeit, in dem man Tee trinken und zu Mittag essen kann. Istanbul im Sommer ist eine Wonne. Der Himmel ist blau, und meistens geht eine erfrischende kleine Brise. Genau die richtige Zeit, um mit einem der Fährboote eine Bosporus-Tour zu machen oder in nur eineinhalb Stunden den wunderschönen Prinzeninseln einen Besuch abzustatten. Man kann auch einfach irgendwo aussteigen, um in einem der Cafés am Ufer in der Sonne zu sitzen, sich mit Meze verwöhnen zu lassen oder zu einem Glas Tee eine Handvoll dieser honigsüßen Blätterteigröllchen zu knuspern. Hmmmm. Die türkische Küche gehört zu den verführerischsten der Welt.
Hin und wieder sieht man noch einige Yalis, das sind die fragilen osmanischen Holzvillen auf Stelzen am Bosporusufer, von denen leider nur wenige noch erhalten sind. Die anderen sind im Laufe der Jahre abgebrannt oder einfach verrottet. Je weiter man auf der europäischen Seite stadtauswärts Richtung Emirgan-Park fährt, desto mehr Yalis findet man noch. Aber auch auf der asiatischen Seite gibt es noch das eine oder andere dieser ganz besonderen Holzhäuser zu bestaunen. Ganz zu Unrecht liegt die asiatische Seite Istanbuls immer ein wenig im Schatten der europäischen.
Dabei ist es sehr lauschig dort, und genau auf derselben Höhe wie der Emirgan-Park auf der europäischen Seite liegt dort der Hidiv-Garten, in dem es ebenfalls grünt und blüht und wiederum ein prachtvolles osmanisches Holzhaus zur Rast einlädt. Die asiatische Seite Istanbuls ist noch ursprünglicher als ihr Gegenüber und von Touristen weniger heimgesucht. Dabei hat man dort bei Sonnenuntergang den allerfeinsten Blick auf die Silhouette des Topkapı-Palastes auf der anderen Flussseite. Vollromantiker lassen sich auch gern von Üsküdar aus zum kleinen Leanderturm übersetzen, der nah am Ufer mitten im Strom auf einer winzigen Insel liegt. Oben gibt es eine Bar und einen kleinen umlaufenden Balkon, auf dem man die Nacht einläuten kann.
Zwischen Hidiv-Park und Üsküdar steht ein wundervoll restauriertes schneeweißes Yali-Hotel. Das Hotel Aija im Stadtteil Kanlica hat nur fünfzehn Zimmer, und nachts hört man den Bosporus ans Ufer schwappen. Gleich nebenan ist ein Schiffsanleger, von wo aus man leicht die Flussseiten wechseln kann. Sowieso ist Kanlica ein zauberhafter kleiner Ort an Wasser und Hang gelegen. Ein Bäcker lädt uns selbstverständlich zum Kaffee, und ein rauschebärtiger Antiquitätenhändler schenkt Tee ein und verscheucht gleich eine dicke Katze vom Stuhl, damit wir Platz haben. In Kanlica steht die Zeit still, und der Ort spaziert vorbei.
Einmalig schön sitzt man im Frühsommer unter lila blühenden Jacarandabäumen im Yogurdu-Café und löffelt den köstlichen hausgemachten Joghurt unter einem Berg von Puderzucker hervor. Vor unseren Augen ziehen derweil riesige Tanker und winzige bunte Holzboote auf dem Bosporus vorbei. Der beste Joghurt von Istanbul kommt aus Kanlica. Das wissen nur die Einheimischen und wir.
Wie viele Touristen die Kulturhauptstadt wohl dieses Jahr erobern? Auf jeden Fall werden die Schlangen vor den Moscheen und Palästen noch länger sein. Da ist so ein Ausflug an das asiatische Ufer und stadtauswärts auf der europäischen Seite in die beschriebene Sommerfrische eine herrliche Aussicht auf ein ganz anderes Stückchen Istanbul. Natürlich nur, um hernach wieder die Kulturschätze, Paläste und Moscheen zu bestaunen. Aber die können auch warten, denn auch wenn das Kulturhauptstadt-Jahr mal abgelaufen ist, stehen sie noch. Istanbul ist wie seit jeher Kultur pur.
Inge Ahrens
 

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43 - Sommer 2010