Das Paradies der Paradeiser

Die köstlichsten Tomaten wachsen in Brandenburg. Benedicta von Branca auf ihrem Bornower Hof am Weinberge zieht mehr als 150 Sorten in prachtvollen Farben und Formen.

Sie heißen Rote Zora, Schwarzer Prinz, Andenhörnchen, Babuschka, Bloody Butcher oder einfach nur Ruth. Rund sind sie oder birnenförmig, haben glatte glänzende Backen oder dicke Wülste und glänzen rot, hellrosé, gelb, schwarz, grün, oder sie sind feurig geflammt. Die Vielfalt der paradiesischen Tomaten aus Bornow ist so herrlich, als seien sie geradewegs einem barocken Stillleben entnommen. Wer hineinbeißt, hat ein Gaumenerlebnis der schwelgerischen Art. „Oh, wann gibt es endlich wieder Tomaten bei Ihnen?“, fragen die Leute auf dem Markt schon zu Beginn des Sommers Benedicta von Branca. Benedicta ist die fleißige Gärtnerin und eine unermüdlich Suchende, was Tomaten betrifft.
Also gemach, gemach. Ein bisschen warten muss man schon auf die Königin des Sommers. Wenn sie reif ist, ist ihr Fruchtfleisch vollgesogen mit Sonne. Dafür bleibt uns die Tomate dann auch bis in den Oktober. Schon im 16. Jahrhundert von Seefahrern aus Südamerika nach Europa verschifft, brauchte sie noch mal zweihundert Jahre, bis man in ihr nicht mehr die Zierpflanze, sondern das einzigartige Gemüse erkannte. Bei uns schmeckte sie allerdings viel zu lange nach gar nichts. Geduldigen privaten Züchtern wie Benedicta von Branca ist es zu verdanken, dass wir den wahren Geschmack der Tomaten heute wieder genießen dürfen.
Unser Paradies der Paradeiser liegt in Brandenburg. Benedicta von Branca lebt dort mit ihrer Familie und einer Bande alter und junger Katzen. Auf dem Hof am Weinberge in einem Haus aus der Jahrhundertwende am Waldrand wird es eng, wenn Ende Januar die ersten Tomaten vorgezogen werden. Dicht an dicht stehen die Töpfe auf allen verfügbaren Fensterbänken. Die Hälfte der Pflanzen kommt von Mitte April an ins Gewächshaus. Die anderen bleiben sicherheitshalber noch drinnen. Von Juli an bis in den Herbst hinein wird geerntet.
An einem heißen Sommermorgen um acht ist die Hitze noch erträglich. In den transparenten Kunststoffzelten steht zart und rauh das Aroma der reifen Früchte. Ein paar Grillen huschen über das ausgebreitete Stroh. Ab und zu klackt ein Falter an die milchige Folie. Dicht an dicht und rispenförmig wachsen die kleinen roten Johannisbeertomaten, müssen regelrecht aus dem Dickicht rausgepult werden. Fleischtomaten, die Benedicta von Branca besonders liebt, wie die rosafarbene würzige Babuschka, werden mit einem vorsichtigen Rups vom Stengel gebrochen. Die Formen und Farben in Benedictas Tomatenreich sind so vielfältig wie die Aromen.
Ganz einmalig ist die Russische Reisetomate: das perfekte Fingerfood. Wie eine kompakte feuerrote Traube ist sie dicht an dicht mit dicken Tomatenperlen bestückt, die man sich wie Appetithäppchen aus der vollen Frucht pflückt, ohne dass einem beim Biss in die große Ganze der Saft das neue Kleid verschmutzt. Oder Alberta Girl, die süße Rote. Sie ist ganz und gar wie ein Pfirsich von einem zarten Pflaum überzogen. Bei aller Schönheit. „Das Wichtigste ist der Geschmack“, sagt Benedicta. „Dazu muss man probieren.“ Das tut sie, wo immer sich die Gelegenheit bietet.
„Alles fing damit an, dass ein Freund aus Polen mir eine schwarze Tomate schenkte“, erzählt sie. „Die war so fruchtig und aromatisch, dass ich sie vermehrte. Jetzt ist sie meine Polnische Schwarze. Die Gandria kommt aus dem gleichnamigen Schweizer Dorf. Sie ist himbeerfarben und schmeckt etwas zarter. Manche meiner Tomaten habe ich nach ihren Spendern benannt, wie die Friedrich aus der Ukraine. Leider wurde sie inzwischen von einer Krankheit dahingerafft.“
Benedicta von Brancas begeisterte Kunden kaufen nicht nur Tomaten, sie bringen auch Exemplare von überall her mit oder haben einfach die Kerne gesammelt. Benedicta trocknet sie und versenkt sie wie die anderen auch irgendwann in Erde. Andere Sorten besorgt sie sich als Bingener Saatgut oder aus dem privaten Samenarchiv in Rednitzhembach. Mehr als 150 verschiedene sind es mittlerweile. Der größte Teil wächst unter Folienzelten. Zwischen die Tomaten hat Benedicta Basilikum gepflanzt. „Das vertreibt die weiße Fliege.“ Der größte Feind der Tomate ist Feuchtigkeit von oben. „Wenn sich Kondenswasser in den Zelten sammelt, würde ich am liebsten föhnen“, lacht sie.
Sind sie einmal gepflückt, kann auch Benedicta von Branca nicht mehr jede Frucht von der anderen unterscheiden. Den Kunden ist das egal. Sie lassen sich gern was zusammenstellen und tragen dann die geballte Pracht nach Hause. „Manche kaufen nach Farbe“, freut sich Benedicta. Sogar ein Künstler kommt hin und wieder und kauft, um die prächtigsten Früchte erst zu porträtieren, bevor er sie schließlich doch verputzt. Benedicta pflanzt und erntet mit Hilfe einiger weniger Frauen und Männer aus dem Nachbardorf. „Alles öko“, versteht sich. „Die Leute erklären mich für verrückt, bei diesem Boden. „Bei entsprechendem Wind liegt der Sand drinnen auf der Fensterbank.“

Inge Ahrens

 

44 - Herbst 2010