Agatha Christie als Kunstfigur

Der Gasag-Kunstpreis hat in der Berliner Kunst- und Kulturlandschaft einen festen Platz eingenommen. Seit 2002 werden junge Nachwuchskünstler im Bereich Bildende Kunst gefördert. In diesem Jahr geht der Preis an Susanne Kriemann.

Die Besonderheit des Gasag-Kunstpreises, der in diesem Jahr neu ausgelobt wurde und fortan alle zwei Jahre vergeben wird, sind die Kriterien. Es soll ein Künstler geehrt werden, dessen Schaffen sich an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik bewegt. „Wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisprozesse zu hinterfragen, ist inzwischen zu einem wichtigen Aspekt künstlerischer Arbeit geworden, um Denkanstöße zu geben“, so die Berlinische Galerie. Da stellt sich freilich ein wenig die Frage, wer da die Denkanstöße erhalten soll – die Wissenschaft, die Kunst, der Betrachter. Aber sei’s drum, es hört sich spannend an, und für den normalen Kunstkonsumenten ist diese Kombination vielleicht denn doch noch nicht so selbstverständlich. Deshalb ist es lobenswert, dass der geehrte Künstler im Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur einen großen Raum zur Verfügung hat, der sich gewissermaßen als „Labor“ entpuppt für diese Wissenschaft-Kunst-Betrachtung. Susanne Kriemann, Jahrgang 1972, überzeugte die Jury, zu der unter anderem ein Neurochirurg der Charité, Kunstgeschichtler, Künstler und Museumskuratoren gehörten, mit ihrer „recherche-intensiven Arbeitsweise und der Komplexität ihrer Darstellungsformen“, heißt es in der Begründung. Sie wird für ihre Ausstellung eine neue Installation ihres Werkes „Ashes and broken brickwork of a logical theory“ schaffen. Archäologische Ausgrabungsstätten in Vorderasien sind ihr dabei Gegenstand, um in assoziativer Weise das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit zu hinterfragen. Wichtige und vielleicht auch ein wenig verstörende Figur ist dabei Agatha Christie. Die Dame, die man gewöhnlich als Krimiautorin kennt, war mit ihrem Mann, dem Archäologen Sir Max Mallowan, oft auf Exkursionen und fotografierte dabei an den Ausgrabungsstätten. Wiederum gaben ihr die Erfahrungen im Mittleren Osten Anregung für viele ihrer Romane. Susanne Kriemann war nun 2009 ebenfalls an diesen Orten, um fast kartographisch zu fotografieren. Immer wieder spürt man „Wüste macht tabula rasa“, und es scheint wieder alles möglich. Es entsteht das Kunstwerk in der Kombination und im Vergleich dieser Elemente sowie wissenschaftliche Texte und Erkenntnisse. So erlebt man, wie bestimmte Dinge, die Teil unserer Gesellschaft sind oder auch anderer Gesellschaften waren, sich in größere, historische Zusammenhänge fügen oder dazu im Widerspruch stehen. Das ist zum einen für den Betrachter sicher sinnfällig, aber auch bildend und anregend. Je nach persönlichem Interesse und Wissen. Wie tief will man sich selbst in dieses Thema hineinbegeben? Was verbindet die Jahrtausende? Was bleibt? Was wächst Neues? Susanne Kriemann hat für diese Arbeit lange in London recherchiert, sich mit Ausgrabungen beschäftigt, Wissenschaftler befragt. Spricht sie über diese Arbeit, so spürt man, dass dies genau das ist, was sie selbst auch begeistert. Alle ihre Projekte sind mit entsprechenden Büchern verbunden, die sie mit international bekannten Designern entwickelt hat. Ein solches Buch beleuchtet viele Facetten ihrer Arbeit – und wichtig erscheint Susanne Kriemann dabei, dass ihre bildkünstlerischen Installationen raumspezifisch und zeitlich begrenzt sind. Ein Buch ist zeitlos, man kann sich die Ausstellung quasi in die Stube holen.
Eigentlich begann ihr künstlerischer Werdegang schon früh und von ihr selbst fast unbemerkt. Seit ihrer Kindheit hatte sie viele Bücher um sich, später liebte sie es geradezu, sich mit Experten verschiedener Genres auszutauschen. Ihre bevorzugte eigene künstlerische Ausdrucksweise ist die Fotografie, die sie nun für ihre komplexen Kunstwerke einsetzt. Ebenso gibt es einzelne Kunstwerke, aber die konzeptionelle Arbeitsweise, das Verknüpfen von Sichtweisen, Erkenntnissen und Sinnlichem ist ihr Credo. Es ist die Lust, Neues zu entdecken und dabei in die Tiefe vorzudringen, sich ausführlich mit Themen zu beschäftigen, die letztlich ihr und dem Kunstbetrachter Gewinn bringen. Dabei profitiert sie von Netzwerken, die sie sich insbesondere in Holland geschaffen hat, wo auch ihr zweiter Wohnsitz ist. Die 38-Jährige ist aber ebenso in den vergangenen Jahren für längere Zeit in Paris, Stockholm, Moskau, Reykjavik und Kairo zu Hause gewesen. Zum Leben und Recherchieren und am liebsten mit ihrer ganzen Familie im Schlepptau. Seit 2008 lebt sie in Berlin. „Berlin“, sagt sie, „ist eine Insel, auf die alle kommen. Sozusagen eine feste Größe.“

Martina Krüger

Informationen

Ausstellung in der Berlinischen Galerie
vom 30.10. bis 31.1.2011
Eröffnung am 29.10., 19 Uhr
Künstlergespräch am 15.11., 18 Uhr

Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne
Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin
www.berlinischegalerie.de

44 - Herbst 2010