Berlin-Macher Gerald Uhlig-Romero

Der Mann ist im Zeichen der Waage geboren. Und die meisten Beschreibungen seines Sternzeichens lesen sich, als seien sie für ihn höchstpersönlich geschrieben: „Er ist ein guter Gesprächspartner und erwartet vom anderen dasselbe. Da muss man sich also anstrengen. Wer Picasso nicht von Beethoven unterscheiden kann, soll sich gar nicht erst mit ihm einlassen“, heißt es da in einem dieser Texte und beschreibt ziemlich genau das, was ein Gespräch mit Gerald Uhlig-Romero, dem Gründer des „Café Einstein Unter den Linden“, ausmacht.
Eloquent ist er in der Tat – und gebildet dazu. Verwundern kann das allerdings nicht. Der 1953 in Heidelberg geborene „König der Berliner Kaffeehaus-Kultur“, wie ihn eine große deutsche Boulevardzeitung einmal genannt hat, studierte Schauspiel, Regie und kulturelles Management am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, arbeitete als Regisseur und Schauspieler an zahlreichen deutschsprachigen Theatern und realisierte u.a. drei Musiktheaterprojekte über Otto Dix, Pablo Picasso und George Grosz. Mit der John-Lennon-Witwe Yoko Ono inszenierte Uhlig-Romero die deutsche Uraufführung des Musicals „New York Story“. Von 1987 bis 1992 moderierte er das wöchentliche Tischgespräch bei Radio 107 und NDR 4 in Hamburg. Für die Bühne verfasste er über 60 Stücke. Und, und, und ... Kurzum, er ist ein Künstler durch und durch.
Dass dieser Mann 1996 das „Café Einstein Unter den Linden“ und die dazugehörende Galerie ins Leben ruft, also Unternehmer wird, erscheint auf den ersten Blick nicht gerade wie eine zwangsläufige Karriere. „Ich war schon immer ein unternehmerisch denkender Mensch“, gewährt Uhlig-Romero einen Einblick in seine familiäre Vergangenheit. Sein Vater, Erfinder der nahtlosen Damenstrumpfhose, und seine Mutter seien schon Unternehmer gewesen und hätten ihn entsprechend geprägt. Zudem habe er aus Liebe zum Vater vor seinem Studium eine kaufmännische Lehre zum Industriekaufmann absolviert. Das erklärt vieles, aber noch nicht den beispiellosen Erfolg des Kaffeehauses Unter den Linden in Berlin.
Von Bundeskanzlerin Angela Merkel über Minister, Parlamentarier, Journalisten, national wie international bekannte Schauspieler, Prominente aller Art bis hin zum einfachen Touristen – sie alle geben sich bei Uhlig-Romero die Klinke in die Hand. „90 Prozent unserer Gäste sind Stammkunden“, ist der Kaffeehausbesitzer stolz und weiß auch den Grund dafür: „Die Liebe zur Qualität.“ Sie mache den Unterschied aus zu den anderen Lokalitäten in der Stadt, in denen sich die Prominenz auch noch gerne trifft. Die im Mai verstorbene Hollywood-Legende Dennis Hopper hatte es zu Lebzeiten auf den Punkt gebracht: Das Schnitzel im Einstein sei besser als die meisten Filme, in denen er mitgespielt habe. Und der Einstein-Inhaber weiß, dass sein Kaffeehaus ohne die Mitarbeiter und vor allem seinen Geschäftsführer Dieter Wollstein, dem die Sisyphosarbeit des gastronomischen Alltages obliege, nicht das wäre, was es heute ist: Ein, wenn nicht der In-Treff der Stadt.
„Hier finden 365 Premieren im Jahr statt“, sagt Uhlig-Romero und erläutert, warum er keinen Unterschied zwischen Theater und Kaffeehaus sieht: Beides seien geistige Orte, die nach dem gleichen System funktionierten. Gleichzeitig erinnert er dar-an, wie viele Literaten ihre Werke im Kaffeehaus geschrieben hätten. Die Verbindung zu Kunst und Kultur, das ist „meine Welt, die ich mitgebracht habe“. Für ihn ist das Einstein denn auch ein begehbares Kunstwerk, eine soziale Plastik und eine Bühne des Lebens. Dass dort aber nicht nur Komödien, sondern auch handfeste Dramen stattfinden, versteht sich.
Dabei wäre Uhlig-Romero selbst beinahe Hauptdarsteller eines Dramas geworden, das größer nicht hätte sein können. Seit frühester Jugend leidet er an einer Krankheit, die kein Arzt diagnostizieren konnte und die sich in unerträglichen Schmerzattacken, Fieberschüben, Hornhauttrübung, Herzproblemen und nicht zuletzt Nierenfunktionsstörungen äußert. Heute weiß er, dass es sich dabei um einen Gendefekt handelt, den er von der Mutter geerbt hat und der als Morbus Fabry bezeichnet wird. Die Symptome begleiteten ihn sein Leben lang. Seine gesundheitliche Lage spitzt sich zu, als die Ärzte – kurz nach der Gründung des Kaffeehauses Unter den Linden – einen extrem hohen Kreatininwert bei ihm feststellen mit der Prognose, dass ein Nierenversagen jederzeit möglich ist. Richtig lebensbedrohlich wird es, als das Einstein auf dem Höhepunkt seiner Popularität angekommen ist und nur eine Transplantation das Leben von Uhlig-Romero retten kann.
An dieser Stelle nun nimmt der „Körperkrimi“, wie er ihn nennt, eine Wendung, die selbst der betroffene Autor nicht besser hätte ersinnen können. Als Rettungsengel erscheint auf der Bühne eine argentinische Frau, die der deutsche Patient in seinem Kaffeehaus kennengelernt, geheiratet und inzwischen mit ihr eine Tochter hat: Mara Romero. Im Rahmen einer Lebendspende erhält er von ihr eine neue Niere und damit ein neues Leben. Dass er genau zu dem Zeitpunkt, als er sozusagen mit seiner Frau gemeinsam auf dem OP-Tisch liegt, eher beiläufig als durch das Wissen der Ärzte erfährt, dass es sich bei seiner Krankheit um Morbus Fabry handelt, ist ein weiteres Kapitel in dem Stück, das nur das Leben schreiben kann.
„Ich bin beschenkt worden“, weiß Uhlig-Romero, wem er zu verdanken hat, dass er immer noch unter den Lebenden weilt und das Café Einstein betreiben darf. „Man kann den Wind nicht einladen, aber das Fenster offen lassen“, glaubt er und sagt weiter: „Mit Liebe habe ich das Kaffeehaus zu dem gemacht, was es ist, und diese Liebe hat mir das Kaffeehaus zurückgegeben. Es hat mir mein Leben gerettet.“ Jetzt will er sich revanchieren. Sein Buch „Und trotzdem lebe ich“ (DVA, 2009) ist ein erster Schritt, um die Krankheit Morbus Fabry bekanntzumachen und anderen Betroffenen zu helfen. „Organe wachsen nicht auf Bäumen“, engagiert er sich zudem in Sachen Organspende und setzt sich vehement für eine Widerspruchslösung ein. Die bedeutet, dass jeder Mensch Spender ist, es sei denn, er widerspricht. In Deutschland muss man sich bislang aktiv zur Organspende bereit erklären.
Zu diesem Thema wird es demnächst auch eine groß angelegte Installation mit dem Titel „Seltenes Alphabet“ in seiner Galerie geben, bei der Bundesforschungsministerin Annette Schavan und Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler die Schirmherrschaft übernommen haben und Chemie-Nobelpreisträger Aaron Ciechanover zur Eröffnung am 28. Oktober sprechen wird. Zu sehen sein werden Olivenbäume, in denen in Leuchtschrift „seltene Krankheiten“, also Krankheiten, die bei weniger als 5 pro 10 000 Einwohner auftreten, benannt werden.
So bleibt denn die Galerie und das benachbarte Kaffeehaus Einstein für Uhlig-Romero ein „Ort, an dem sich Menschen treffen, mit denen ich über all das reden kann.“ Es ist zu hoffen und für ihn zu wünschen, dass ihm das noch lange vergönnt sein wird.

Detlef Untermann

44 - Herbst 2010
Kultur