Die große Kunst der strengen Linien

László Moholy-Nagy wird als großer Vertreter der Moderne, Konstruktivist und früher Pionier der Lichtkunst in einer Werkschau im Martin-Gropius-Bau gewürdigt.

Seit 1922 experimentiert László Moholy-Nagy mit den gestalterischen Möglichkeiten von Licht. Ein Jahr nachdem Albert Einstein der Nobelpreis verliehen wurde. Der Ungar erfand das Schreiben mit Licht – das Fotogramm – und untersuchte multimedial raumbildende, konstruktive Gestaltungsweisen. Es ging ihm darum, Empfinden und Intellekt des Menschen ganzheitlich weiterzuentwickeln.
Das „Lichtrequisit einer elektrischen Bühne“, so lautet der Titel einer Collage, eröffnet wie ein Akkord die Schau „Kunst des Lichts“ im Martin-Gropius-Bau. Zwei Räume weiter wird das Pendant dazu, der berühmte Stummfilm „Ein Lichtspiel schwarz-weiß-grau“(1930), zu sehen sein. Mit Hilfe eines „Lichtmodulators“ erzeugte der Bauhausmeister Licht- und Schatteneffekte, aus deren dynamisch-rhythmischer Abfolge ein rein abstrakter Film entstand. Heute würde man sagen, er war der Physiker-Ingenieur unter den Künstlern.
Mit mehr als zweihundert Arbeiten – Malerei, Fotografie, Film, Grafik, dazu Bühnenbilder, Figurinen, Schriften – ermöglicht die gemeinsam mit dem Madrider Museum Círculo de Bellas Artes sowie mit dem Gemeentemuseum, Den Haag, arrangierte Ausstellung einen umfassenden Einblick in das Schaffen des 1895 geborenen Ungarn, der als einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Klassischen Moderne gilt und spätestens seit der Bauhaus-Jubiläumsausstellung 2009 mit Sonderschauen verstärkt ins Blickfeld rückt.
„László war ein Optimist“, so sagt es seine Tochter Hatulla, einer, der bis zu seinem Tod 1946 mit Vitalkraft an der Erziehung eines neuen Menschen gearbeitet habe. Mit Leib und Seele sei er Lehrer gewesen, sowohl auf Einladung von Walter Gropius am Bauhaus in Weimar und Dessau (1925 bis 1928) und ab 1937 an dem von ihm selbst gegründeten New Bauhaus bzw. dem späteren Institute of Design in Chicago. Er wollte seine Studenten mit der Kunst und für die Kunst gewinnen. Dabei ging es um nichts Geringeres als die Idee eines Zeitalterprojekts, in dem ebenso viel Schönheit wie Spannung steckte, damit dem heutigen Betrachter die Sprengkraft gleich mit bewusst werden muss.
Moholy-Nagys Bilderdenken, sein Konzept der Ganzheitlichkeit menschlicher Lebenstätigkeit und der Hierarchiefreiheit der Künste fasziniert noch heute. Seine Radikalität nimmt gelegentlich den Atem: Der Mensch im einzelnen ist bei ihm eher ein Punkt im großen Turm des Schaffens, etwa in dem Schlüsselwerk „kinetisch-konstruktives System“, 1922, oder eben eine Gestalt, in deren Nähe sich Blickachsen schneiden. Seltener erlaubt sich der Künstler Porträts in Nahaufnahme und mit emotionaler Wärme wie beim „Finnischen Bauer“, 1930. Die Kunst habe auf das Kollektive zu zielen, ist einer seiner Lehrsätze. So sprengen Diagonalen den rechteckigen Bildrahmen, und ungewohnte Perspektiven erweitern das Raumgefühl. Alles ist in Bewegung. Die zwanziger Jahre drängen zur Eile. Moholy-Nagy konstruiert Bilder, um die menschliche Sensorik fit zu machen für das Tempo des Urbanen und seine sozialen Überblendungen im frühen zwanzigsten Jahrhundert.
„Da habt ihr die Helden der Vernichtung und da habt ihr die Fanatiker des Aufbaus“ – das schrieb Ludwig Kassak in dem 1922 herausgegebenen „Buch Neuer Künstler“, zu dem László Moholy-Nagy, von Hause aus Rechtsanwalt und in künstlerischer Hinsicht Autodidakt mit immensem Schaffensdrang, die Bilderauswahl beisteuerte. Dieses in Pergament eingeschlagene Buch wirkte nicht nur 1922 elektrisierend. Es ist ein Traktat der Klassischen Moderne. So räumt man alles Lasche, Graue beiseite. Mit Ausrufezeichen und Kinoprojektoren. László Moholy-Nagys schwer auszusprechender Name klingt dabei bis heute wie ein Versprechen, dass es, wenn man die intellektuellen und emotionalen Kräfte anspannt, immer auch Erneuerung gibt.
Berlin erlebte Moholy-Nagy als kulturelles und industrielles Zentrum. Konstruktivisten und Dadaisten trafen sich in seinem Atelier. Jede Kunstgattung wird experimentell durchforstet, um sie vom Reproduktiven zu lösen und in eine produktive Ästhetik umzukrempeln. Dafür analysierte der Ungar seine Gegenwart mit ihrem industriell-technischen Aufbruch und eskalierenden sozialen Differenzen. Er schaute der Großstadtboheme auf die Füße und den „Frühstückstisch“, in die Buddelkisten der Arbeiterkinder, seinem Freund Oskar Schlemmer ins rasterbeschattete Gesicht und mischte sich mit bewegter Kamera unter die „Großstadtzigeuner“ (1932) beim Tanz. Er ergründete Dunkelheit und Licht und ließ Blüten, Spiralen und Scherenschnitte als Fotogramme weiß aus schwarz hervorleuchten. Es sind die „Schwestern“ der Rayogramme des in Paris arbeitenden Man Ray. In seinen Kurzfilmen komponiert er Vertikalen, die als Kantenlänge der Mietskasernen dem Sonnenlicht nur Spalte freilassen. Oder kreuzt seine Kompositionen mit den Schräglinien gusseiserner Verstrebungen von Kränen, Brücken und Türmen. Das Licht tanzt auf dem Asphalt der Städte und krönt die Wellen des Meeres. Berührende Kurzfilm-Impressionen: Der Hafen von Marseille, die Hinterhöfe von Berlin.
1929 gab es für den Ungarn auf der Werkbundausstellung „Film und Foto“ in Stuttgart und im Martin-Gropius-Bau großen Erfolg. 1933 aber musste der Bauhauskünstler und Jude Moholy-Nagy vor den Nazis emigrieren, erst nach Amsterdam, dann London und schließlich Chicago, wo er das New Bauhaus und die School of Design gründete.

Anita Wünschmann

Informationen
Ausstellung „Kunst des Lichts“ im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
4. November bis 16. Januar 2011
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Montag: 10–20Uhr
Dienstag geschlossen

Katalog
László Moholy-Nagy – Kunst des Licht
Co-Edition mit La Fábrica und dem Martin-Gropius-Bau Berlin
Hirmer Verlag 2010, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7774-2711-9
Preis: 49,90 Euro


 

45 - Winter 2010/11