Karl Marx baut auf

Der Aufschwung Potsdams geht weiter: Die Stadt der Schlösser und Gärten steigert ihre Lebensqualität und gewinnt immer mehr Einwohner. Zahlreiche Wohnungen entstehen derzeit neu – doch trotzdem wird es für die Potsdamer immer schwieriger, eine günstige Wohnung zu finden.

Karl Marx baut. Nun ja, nicht der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, aber immerhin die Wohnungsgenossenschaft (WG) „Karl Marx“, Potsdam. Im Oktober feierte sie das Richtfest für ihr Neubauprojekt in der Saarmunder Straße im Stadtteil Waldstadt. In fünf Häusern entstehen 68 Wohnungen, die den heutigen Anforderungen entsprechen – energieeffizient, barrierefrei erreichbar und mit Balkon versehen.
Es ist das erste Neubauprojekt, das die „Karl Marx“ seit der Wende in Angriff genommen hat. Damit steht die Genossenschaft für einen Trend: In Potsdam werden derzeit so viele Wohnungen gebaut wie schon lange nicht mehr. Laut einer Studie des Forschungsinstituts BulwienGesa wurden 2009 in Potsdam 722 Wohneinheiten errichtet – mehr als doppelt so viele wie 2006.
Geht es nach dem Willen der Stadtväter, müssten es sogar noch mehr sein. Den Neubaubedarf bis 2020 beziffern die Verantwortlichen auf rund 11 000 Einheiten; jährlich müssten demnach über tausend neue Apartments aus dem Boden gestampft werden. Das ist eine verblüffende Entwicklung für eine Stadt in den neuen Bundesländern, die ansonsten eher mit starkem Bevölkerungsrückgang und hohem Wohnungsleerstand von sich reden machen. Doch die brandenburgische Landeshauptstadt ist anders. „Potsdam“, sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs, „ist eine der wenigen wachsenden Kommunen. Die Zahl der Studenten steigt, die Zahl der Arbeitslosen ist auf niedrigem Niveau, und für Touristen sind wir attraktiv.“ Bis 2020 erwarten die Statistiker eine weitere Zunahme der Einwohnerzahl von heute 154 000 auf 164 000.

rechts: Brandenburger Tor [Foto: Berlin vis-à-vis]

„Für Potsdam gehen wir von einer stabilen bis steigenden Nachfrage nach Mietwohnungen aller Kategorien aus“, sagt denn auch Carsten Sellschopf, Leiter der Niederlassung Berlin von Hochtief Projektentwicklung. Das bestätigen die Erfahrungen der WG „Karl Marx“: Für die 68 Wohnungen hatten sich bis zum Richtfest bereits 200 Interessenten gemeldet – und das, obwohl die Miete mit 7,80 Euro pro Quadratmeter nettokalt nicht wirklich günstig ist. Die Durchschnittsmiete in der brandenburgischen Landeshauptstadt beträgt dem neuen Mietspiegel zufolge zwar nur 5,54 Euro pro Quadratmeter; für Neubauwohnungen werden laut BulwienGesa im Durchschnitt aber 8,60 Euro verlangt.
Ungefähr so teuer sind auch die Wohnungen im City-Quartier, das die Unternehmensgruppe Semmelhaack in der Friedrich-Engels-Straße und damit direkt neben dem Hauptbahnhof errichtet hat. Nicht weniger als 639 Wohnungen entstanden in den vor kurzem fertiggestellten drei Gebäuden. Mit Größen zwischen 42 und 90 Quadratmetern sind sie weniger auf die Bedürfnisse von Familien als vielmehr auf die von Singles, Paaren und Senioren ausgerichtet – und treffen damit auf eine Marktlücke, sind doch laut Stadtverwaltung gerade Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen besonders stark nachgefragt.
Speziell für Senioren stellt die TLG Immobilien am Havelufer jetzt gerade ihr Havelpalais fertig: einen Neubau, der neben einem Pflegeheim auch 38 Kleinwohnungen für Einzelpersonen und Paare umfasst, die möglichst lange selbständig leben wollen.
Die entgegengesetzte Altersgruppe spricht das Unternehmen Green Dorms Potsdam an: Auf dem Bornstedter Feld, einem großen städtebaulichen Entwicklungsbereich im Norden der Stadt, errichtet es bis zum Wintersemester 2012 einen Komplex mit 365 Apartments für Studierende. Der Standort ist gut gewählt, befindet sich doch ganz in der Nähe die Fachhochschule.
Auf dem Bornstedter Feld – nicht weit entfernt von Sehenswürdigkeiten wie der Kolonie Alexandrowka sowie Schloss und Park Sanssouci – sind neben Mietwohnungen auch zahlreiche Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen entstanden. Für das jüngste Projekt zeichnet die Baugesellschaft Oder-Spree mbH verantwortlich: In der Hannes-Meyer-Straße errichtet sie 32 Wohnungen, von denen zum Zeitpunkt des Richtfests im November bereits drei Viertel verkauft waren. Positive Erfahrungen in der Havelstadt machen auch andere Bauträger – zum Beispiel die NCC, die im Kirchsteigfeld, einem anderen großen Neubaugebiet, das Projekt Kirchsteigterrassen mit 102 Reihenhäusern und Doppelhaushälften realisiert.
„Potsdam ist der Top-Standort für Wohneigentum in Ostdeutschland und muss den Vergleich mit westdeutschen Großstädten nicht mehr scheuen“, urteilt Jörg R. Lammersen, Leiter der Niederlassung Berlin/Brandenburg der TLG Immobilien. Doch was des Projektentwicklers Freud, ist des Kunden Leid – denn die Preise in Potsdam steigen auf breiter Front. Zwischen 3.100 und 4.000 Euro pro Quadratmeter verlangt zum Beispiel die Prinz von Preussen Grundbesitz AG für die Wohnungen in der Résidence au Rivage. So nennt das prinzliche Unternehmen das ehemalige AEG-Areal am nördlichen Havelufer. In drei Bauabschnitten entstehen 115 Wohnungen in denkmalgeschützten Altbauten und in einem Neubauteil, der „Waterfront Residence“. Verkauft werden diese in aller Regel an Kapitalanleger, die dann laut Theodor J. Tantzen, Vorstand der Prinz von Preussen Grundbesitz AG, eine Miete von 9 bis 11 Euro pro Quadratmeter erwarten dürfen. Bei Kapitalanlegern sei „die Nachfrage nach erstklassigen Bestandsimmobilien weiter gewachsen“, sagt Tantzen. Die Folge: „Der Potsdamer Wohnungsmarkt ist heute leergefegt. Es gibt kaum noch interessante Projekte.“
Das sieht die Projekt Rentenvorsorge GbR ein wenig anders: Das Unternehmen aus Hannover will sich in der ehemaligen Kasernenanlage Krampnitz im Norden der Stadt engagieren. Krampnitz sorgte zuletzt für politische Turbulenzen, da das Areal 2007 unter nicht geklärten Umständen verkauft worden war. Die Projekt Rentenvorsorge als potentieller neuer Investor plant nun, allein im ersten Bauabschnitt ab Frühjahr 2011 rund 260 Wohneinheiten in den alten Kasernen zu errichten und an Kapitalanleger zu verkaufen, die sich dann eine gute Rendite erhoffen dürfen. Was wohl Karl Marx dazu sagen würde?

Emil Schweizer
 

45 - Winter 2010/11