Nachhaltig bauen

Längst hat die Immobilienwirtschaft das Thema Nachhaltigkeit entdeckt. Gerade in Berlin gibt es keinen Mangel an ökologischen Vorzeigeprojekten: Grüne Supermärkte fehlen in der deutschen Hauptstadt ebenso wenig wie umweltfreundliche Hotels oder stromerzeugende Gewerbegebäude – und bei Wohnungsneubauten ist eine hohe Energieeffizienz sogar bereits Standard.

Auf den ersten Blick sind die Choriner Höfe ein ganz gewöhnliches Neubauvorhaben. Etwa 130 gehobene Wohnungen zu Preisen von bis zu 6.500 Euro pro Quadratmeter sind in der Choriner Straße in Mitte entstanden – mit einer Besonderheit: Voraussichtlich gut 70 Prozent des Heizenergiebedarfs der Wohnanlage werden durch eine Geothermieanlage gedeckt. 36 Tiefensonden sorgen nämlich dafür, dass die Wohnungen im Winter umweltfreundlich beheizt und im Sommer sparsam gekühlt werden. „Geothermie hat große Vorteile“, ist Alexander Harnisch vom Berliner Unternehmen Diamona & Harnisch überzeugt, das die Choriner Höfe bis Mitte dieses Jahres fertigstellt. „Der Stellenwert der regenerativen Energie in unserer Gesellschaft nimmt fortdauernd zu“, sagt Harnisch. „Für unsere aufgeklärte Käuferzielgruppe ist die Geothermieanlage daher ein wichtiges Kaufkriterium.“
Die Choriner Höfe stehen für die Erkenntnis, dass gerade die Bau- und Immobilienwirtschaft eine große Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel trägt. Für etwa 40 Prozent des CO2-Ausstoßes ist der Gebäudebereich verantwortlich; entsprechend umfangreich ist hier das Einsparpotential. Hinzu kommen die steigenden Preise für Erdöl, Erdgas und Strom, die energiesparende Baumethoden für Eigentümer und Mieter wirtschaftlich zunehmend attraktiv machen. „Eine energieeffiziente Bauweise“, betont denn auch Harnisch, „gehört heute zu einem Neubau im gehobenen Segment wie selbstverständlich dazu.“


Das Hotel Scandic am Potsdamer Platz wurde mit dem DGNB-Nachhaltigkeitszertifikat ausgezeichnet [Foto: gsp Städtebau]

Das gilt in besonderem Maße für Baugruppen, in denen Selbstnutzer mit viel Eigeninitiative ihren Wohntraum realisieren. Ein bundesweit bekanntes Objekt dieser Art steht in der Esmarchstraße in Prenzlauer Berg: ein Wohnhaus aus Holz, mit dem das Berliner Architekturbüro Kaden + Klingbeil für Furore sorgte. Denn während Einfamilienhäuser aus Holz weit verbreitet sind, wurde mit dem Neubau in Prenzlauer Berg nach Angaben der Baugruppe erstmals in Deutschland ein Holzhaus mit sieben Etagen im innerstädtischen Bereich errichtet. Holz ist als erneuerbare Ressource umweltfreundlich und weist außerdem gute wärmetechnische Eigenschaften auf. Der Primärenergiebedarf liegt deshalb bei lediglich 30 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr, der Endenergiebedarf bei 10 kWh – beides deutlich geringer als bei konventionellen Neubauten.
Doch auch bei Bestandsobjekten lassen sich sparsame Lösungen finden. Das beweist die Dr. Wilke Projektentwicklungs GmbH mit ihrem Vorhaben Finow 17, einem Gründerzeitgebäude in der Friedrichshainer Finowstraße. Bei der derzeit laufenden Sanierung setzt der Investor auf den Einsatz modernster Energietechnik: Ähnlich wie in den Choriner Höfen gewinnen Erdsonden Wärme aus rund hundert Metern Tiefe; zudem sorgen Solarkollektoren auf dem Dach für warmes Wasser. In der Summe aller Maßnahmen wird das hundertjährige Gebäude damit weniger Energie verbrauchen als ein nach den gesetzlichen Vorschriften erstellter Neubau – ein Ansatz, der bei den Kunden offensichtlich ankommt: Fast alle der 29 Eigentumswohnungen (Preis: 2.000 bis 3.000 Euro pro Quadratmeter) sind bereits verkauft.
Allerdings wohnen die meisten Berliner in Mietwohnungen. Auch in diesem Segment tut sich indes eine ganze Menge. Zum Beispiel in Spandau, wo im vergangenen Herbst die Charlottenburger Baugenossenschaft den Abschluss der energetischen Modernisierung von sechs Gebäudeblocks im Schwendyweg feierte. Die Genossenschaft dämmte Dächer, Fassaden und Kellerdecken, tauschte die Fenster aus und installierte unter Mitwirkung der Berliner Energieagentur ein sparsames Blockheizkraftwerk. Das Ergebnis: Der Primärenergiebedarf sank von 227 kWh pro Quadratmeter auf 49 kWh. Besonders erfreulich für die Bewohner ist, dass sie nicht mehr Miete bezahlen müssen als zuvor: Zwar stieg die Kaltmiete, doch wurde dieser Anstieg durch die Einsparung bei den Betriebskosten ausgeglichen.

Links: Finow 17 – Gründerzeithaus in der Friedrichshainer Finowstraße, das unter Einsatz erneuerbarer Energien modernisiert wird [Foto: Dr. Wilke Projektentwicklungs GmbH] Rechts: Fassade der Choriner Höfe [Foto: Diamona & Harnisch]

Von „Warmmietenneutralität“ sprechen in einem solchen Fall die Experten – und die ist nach Berechnungen der Deutschen Energie-Agentur (dena) durchaus realistisch. Die dena wertete zahlreiche Modellvorhaben aus und kam dabei zum Schluss, dass sich in Wohnhäusern, die ohnehin saniert werden müssen, der Energieverbrauch um bis zu 75 Prozent senken lässt, ohne dass deswegen die Mieter eine höhere Gesamtmiete bezahlen müssen.
Zunutze macht sich diese Erkenntnis auch das Berliner Wohnungsunternehmen Gesobau. Es modernisiert in einem mehrere Jahre dauernden Großprojekt das Märkische Viertel mit seinen 13 000 Wohnungen und schafft damit nach eigenen Angaben Deutschlands größte Niedrigenergiesiedlung. Nach Berechnungen der Gesobau wird sich dadurch der CO2-Ausstoß der im Norden Berlins gelegenen Großsiedlung von zuvor 43 000 Tonnen im Jahr auf nur noch 11 000 Tonnen pro Jahr verringern. Für ihr Engagement hat die Gesobau mehrere Preise eingeheimst – zuletzt den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.

Die Choriner Höfe [Foto: Diamona & Harnisch]

Eine zentrale Rolle für die Energieeffizienz des Märkischen Viertels spielt ein vom Versorger Vattenfall betriebenes Wärmekraftwerk, das auf der Basis von Biomasse Fernwärme produziert. Andere Wohnungsunternehmen dagegen setzen auf die Kraft der Sonne. So nahm die Genossenschaft GeWo Süd (Genossenschaftliches Wohnen Berlin-Süd eG) 2010 in der Jacobsohnstraße in Weißensee die bislang größte Schrägdach-Photovoltaikanlage auf einem Berliner Wohngebäude in Betrieb. Auf einer Fläche von fast 2 000 Quadratmetern liefern 1 359 Solarmodule jetzt jährlich bis zu 240 Megawattstunden Sonnenstrom.
Auch Eigentümer gewerblich genutzter Immobilien nutzen verstärkt Solarenergie. Die momentan größte Photovoltaik-Dachanlage der Hauptstadt entsteht im Gewerbecampus Am Oktogon in Berlin-Adlershof. Dort packt die Investorin, die immobilien-experten-ag, in mehreren Bauabschnitten bis zum Jahr 2013 so viele Solarmodule aufs Dach, dass damit 300 private Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden können. Das Besondere am Projekt: Die Module werden ganz in der Nähe produziert, nämlich vom ebenfalls in Adlers­hof ansässigen Unternehmen Sulfurcell. „Wir setzen auf Produkte und Betriebe aus der Region“, sagt dazu Rolf Lechner, Vorstand der immobilien-experten-ag.
Das tut auch das Steigenberger-Hotel am Los-Angeles-Platz. Beim Einkauf entscheidet es sich für Produkte aus biologischem Anbau und, wenn möglich, von regionalen Erzeugern – ein Grund dafür, dass das Hotel 2010 den Berliner Umweltpreis des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) erhielt. Darüber hinaus bezieht das Hotel Fernwärme, die aus nachwachsenden Brennstoffen gewonnen wird, und hat alle Leuchten auf die energiesparende LED-Technik umgestellt.
Mit seinen Anstrengungen steht das Hotel nicht alleine da. Das Energiehotel in der Charlottenburger Wielandstraße, 2010 mit dem ersten Preis im Gasag-Zukunftswettbewerb ausgezeichnet, erzeugt einen Großteil seines Stroms über ein hauseigenes Erdgas-Blockheizkraftwerk und hat zudem eine Solarthermieanlage installiert. Das vor kurzem eröffnete Scandic-Hotel am Potsdamer Platz ist sogar eines der ersten Hotels überhaupt, die mit dem Nachhaltigkeitszertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ausgezeichnet wurden. Das Zertifikat bezieht nicht nur den Energieverbrauch in die Bewertung mit ein, sondern auch Aspekte wie den Trinkwasserverbrauch, die Unterhaltskosten und den Schallschutz.
Dass auch der Berliner Einzelhandel die Bedeutung der Nachhaltigkeit entdeckt hat, lässt sich in Rudow in Augenschein nehmen. Dort steht ein Rewe-Supermarkt, der ebenfalls ein DGNB-Zertifikat nachweisen kann und als bundesweites Vorzeigeprojekt für umweltschonende und energieeffiziente Handelsimmobilien gilt. Die Filiale an der Groß-Ziethener Chaussee verbraucht nur etwa halb so viel Energie wie ein konventioneller Supermarkt – und verfügt zudem über zwei Tankstellen für Elektroautos.

Emil Schweizer

46 - Frühjahr 2011