Den Lebensstil ändern. Warum nicht

Bis August ist das Berliner Haus der Kulturen der Welt Schauplatz von künstlerischen Projekten, die sich alle damit beschäftigen, wie es in der Zukunft möglich sein kann, auf gute Art zu leben, ohne die Lebensgrundlangen zu zerstören. Das, so schreiben die Veranstalter, ist eine Frage der „Über Lebenskunst“.

Der Eisbär auf der schmelzenden Scholle ist zum Mahnmal für die Klimaerwärmung geworden. Theoretisch ist einem alles klar – Kohlendioxidausstoß, Klimaerwärmung – Eisbärensterben. Aber man nimmt trotzdem das Auto für den Weg zur Arbeit, in den Urlaub und auch für die Spritztour 
ins Grüne. Bedrohte Umwelt, schwindende natürliche Energieressourcen, Tiere zu unserem Verzehr, die alles andere als tierisch gehalten werden – wir wissen darum, wollen irgendwie auch, dass alles besser werden möge. Doch ändert sich darum unser Verhalten wirklich? Sind wir nicht längst der ewigen „Eisbärenmeldungen“ und anderer Katastrophenmeldungen überdrüssig? „40 Jahre Katastrophenkommunikation“, meint Harald Welzer, Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research, Essen, „haben unsere fortschreitende Lebenspraxis wenig beeinflusst.“ Der Soziologe und Sozialpsychologe bringt Beispiele. „Unser Klamottenbestand“, sagt er mit laxem Ernst, hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, der Möbelverschleiß verdreifacht – er nennt es „Ikeaisierung“. Der Ressourcenabbau steigert sich. Nahrungsmittel werden gekauft und weggeworfen. Aus den USA nennt er eine Zahl von 40 Prozent, in Deutschland nehmen 30 Prozent der Nahrungsmittel den Weg vom Kühlschrank direkt in den Abfalleimer. Diese ganze Negativkommunikation ist also eher kontraproduktiv. Man müsse endlich aus dem Modus des Kommunizierens in den Modus des Machens übergehen. Nicht ewig mit dem Damoklesschwert fuchteln, sondern einen anderen Lebensstil propagieren. Gewohnte Standards und Bedürfnisse sollen hinterfragt werden, statt einer Aufforderung zur Beschränkung soll ein Perspektivwechsel seine Chance bekommen. Eine mühselige Sache in vielen kleinen Schritten, aber sie verspricht, wenn sich unser Lebensstil ändert, nachhaltiger zu wirken als all die Ermahnungen an unseren Verstand. Welzer ist einer der wissenschaftlichen Väter des Projekts „Über Lebenskunst“. Dieses Initiativprojekt mit vielen kleineren Beispielprojekten und dem Ziel, den Umbau der Gesellschaft zu fördern, lässt sich der Bund 3,5 Millionen Euro kosten. Vor allem sind Künstler eingebunden, die von jeher einen eigenen Blick auf das Leben haben, die auch anderen Lebensweisen aufgeschlossen gegenüberstehen. Eines der interessantesten Projekte ist vielleicht die „Vorratskammer“, ins Leben gesetzt von der Künstlerinnen-Initiative myvillages.org. Ihre Mitglieder Kathrin Böhm, Antje Schiffers und Wapke Feenstra haben ihre Kindheit auf Dörfern verbracht und gründeten ihre Initiative bereits 2003. Sie sind also ein eingespieltes Team, das sich auf Forschungsreise in die Nahrungsmittelherstellung begibt. Die Holländerin Wapke Feenstra erzählte, wie sie nun den Raum Berlin-Brandenburg nach Partnern und Freunden durchkämmen, sich auch nach neuen Methoden erkundigen, zum Beispiel Salat auf Wasser anzubauen oder das Wissen eines Schäfers, der Milch auf besondere Weise verarbeitet.

Annes Johannisbeergelee [Foto: © myvillages.org]

Die Käseproduktion fand beispielsweise in einer speziellen mobilen Käserei statt. Eine erste Bilanz konnte Wapke Feenstra schon ziehen: Der Schnaps sei gebrannt, die Wildschweine schon zur Verarbeitung bereit, das Sauerkraut eingemacht und das Zwetschkenmus eingekocht. Ganz bewusst suchten sie ein breites Sortiment an Nahrungsmitteln aus, das sie sozusagen vom Wachsen bis zum Essen dokumentieren. Das Schöne daran ist, dass dieses ganze Projekt „Vorratskammer“ über den dokumentarisch-künstlerischen Wert hinaus auch einen praktischen Sinn haben wird. Denn während des Festes im August im Haus der Kulturen der Welt werden die Künstlerinnen alle Gäste aus der „Vorratskammer“ bewirten. Und das stellt die Frauen vor eine ganz neue Aufgabe, denn wer weiß schon, wie viele Gäste kommen. Während des Festes erfahren die Besucher jede Menge Wissenswertes über die geografische und historische Herkunft der Nahrungsmittel.

Martina Krüger
 

Informationen

  • Über Lebenskunst. Initiative für Kultur und Nachhaltigkeit
  • bis 21.08.2011
  • Haus der Kulturen der Welt
  • John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin
  • www.hkw.de
46 - Frühjahr 2011