Hier ist die Mitte!

Am 3. Oktober wird der Berliner Fernsehturm vierzig Jahre alt. Laut Touristenranking der Stadt steht er auf Platz zwei, hinter dem Brandenburger Tor. Der Berliner Fernsehturm als Schlüsselanhänger, aus Frotteestoff zum Kuscheln, auf Visitenkarten und T-Shirts schön dekorativ oder als Backform. Ein 368 Meter hohes Symbol sozialistischer Leistungsfähigkeit. An diesem Kraftakt allerdings hat sich die DDR schwer übernommen. Die Kosten explodierten: Nirostastahl aus dem Westen ebenso wie Scheinwerfer, Klimaanlage und Aufzüge. Etwa 130 Milliarden DDR-Mark, nur ein Viertel davon waren in der Planungsphase vom Politbüro genehmigt worden. Dem Volk legte man bei seiner Eröffnung im Herbst 1969 den Namen Telespargel in den Mund. Das hat sich natürlich nie durchgesetzt. Um den Sendeturm mit Denkmalcharakter ranken reichlich Legenden, sein Bau war abenteuerlich. Bis heute streitet man um die gestalterische Urheberschaft. Nach nur kurzer Schimpferei ignorierte der Westen dieses wahrhaft unübersehbare Manifest in Beton komplett. Im Osten genoss man nach langem Schlangestehen die Aussicht, bei gutem Wetter sogar in den Westen hinüber. Noch ein bisschen Ausdauer später konnten die Hauptstädter und ihre Gäste im Telecafé Erdbeertorte essen, dabei sich in einer Stunde um den Turmkern drehen und die Wege ameisenkleiner Trabis verfolgen. Jetzt geht die Runde doppelt so schnell. Der Architekturtheoretiker Peter Müller nennt ihn ein Produkt des Kalten Krieges. Ergebnis der Reißbrettplanung für das zerstörte Berlin, einer Folgeraumnahme nach dem Schlossabriss, auf der Suche nach der neuen Stadt. Ein Turm, an sich schon bedeutungsreich, soll Signale ideologischer und funktechnischer Art verbreiten. Nur so war es überhaupt möglich, dass sich ein technischer Zweckbau mitten im Herzen der Hauptstadt befindet und geradezu zum Symbol dieser Hauptstadt und des kleinen Landes mit dem verzweifelten Ringen um Weltniveau wird. Henselmanns Planung des Forums der Nation von 1957 plazierte einen Turm der Signale noch auf dem anderen Spreeufer. Bereit zum Senden von UKW und dem Sieg der Internationale sollte die Kugel wie ein Satellit rubinrot über der nächtlichen Stadt schweben. Dieser Entwurf traf Anfang der sechziger Jahre auf das agitatorische Fiasko, dass leistungsstarke Antennenanlagen fehlten, um das östliche Deutschland flächendeckend mit DDR-Fernsehen zu erreichen. Neuruppin beispielsweise war schutzlos den Westsendern ausgeliefert. Eine bewegte Baugeschichte begann. Wirtschaftliche Schwäche, gepaart mit dem Gewirr genehmigungserteilender Instanzen und Interessen, sorgten für Unruhe. Der Standort in den Müggelbergen musste nach Baubeginn aufgegeben werden. Der Turm wuchs mitten in die Einflugschneise des Flughafens Berlin-Schönefeld. Mehrere Standorte am Rand des Volksparks Friedrichshain wurden ernsthaft diskutiert. Eine Planung sah vor, einen Friedhof zum Kulturpark mit Fernsehturm umzufunktionieren. Die Legende berichtet, Ulbricht selber habe in das Modell gegriffen und kurzerhand den Fernsehturm vom Friedrichshain in die Mitte versetzt, an seinen heutigen Platz. Anfang März 1965 begannen die Aushubarbeiten, allerdings ohne Baugenehmigung, weshalb es auch keine Grundsteinlegung gab. Die Turmsäule wurde um ein mitwachsendes Gerüst im Kern betoniert. Ingenieure mit Erfahrungen im Industrieschornsteinbau übernahmen die Projektierung. Das tragende Stahlgerüst der Kugel wurde am Boden vorgefertigt, in Segmenten mit Kränen gehoben, am Betonschaft an einer Ringplattform montiert und im zweiten Schritt an Zugbändern aufgehängt. Die Kugel hat sieben Geschosse, davon nur zwei für den Besucherverkehr, die Aussichtsetage auf 203 Metern Höhe und vier Meter darüber das Telecafé. Auf das Stahlgerüst wurden dann die Trapezflächen, die Außenhaut, montiert mit dem wiederum legendären im Sonnenlicht entstehenden Lichtkreuz. Interessant auch die Theorie von C-Base, einer Vereinigung spinnerter Kommunikationsdesigner. Sie berufen sich auf Ausgrabungsfunde einer 4,5 Milliarden Jahre alten Raumstation, und der Fernsehturm ist einfach nur die herausragende Antennenspitze. Raumschiffatmosphäre schafft der umlaufende Gang von den Kassen zu den Fahrstühlen, indirekt erleuchtet hinter vertikalen schmalen Holzlamellen mit perforierten Lüftungslöcher an der Decke. Die Bewegung himmelwärts und den Griff zu den Sternen bereiten schon die gefalteten Betonflügel zu Füßen des Turms vor. 1965, als die Kugelgestalt offiziell feststand, sprach die Zeitung Neues Deutschland vom Spree-Sputnik. Während der Fußball-WM 2006 versuchte man es mit der Kugel als Ball. Nicht besonders erheiternd dient der Schaft nun als temporäre Plakatsäule für Liebesbotschaften respektive die längste Werbebotschaft der Telekom, der Eigentümerin des Fernsehturms. Brit Hartmann

39 - Sommer 2009