Zurück zur Wildnis

Seit Ende Juni darf sich der Grumsiner Buchenwald zum UNESCO-Weltnaturerbe zählen, im Jahr des Waldes.

Spiegelungen auf Wasserlöchern, herbstliche Nebelstreifen, Moore und ein überraschend dichtes Auf und Ab der Landschaft. Unbekannte Geräusche unterbrechen die Stille. Zwei Bäume, ineinander verkeilt, knarren. In den alten Zeiten, als die Märchen noch wahr waren, hausten Räuber, wilde Tiere und die Angst im Wald. Heute geht die Angst um den Wald und seine Bewohner um. „Bitte sagen Sie nicht Forst“, korrigiert die Naturwacht Brandenburg. „Totalreservat und Kernzone auch nicht.“ Wildnis in Deutschland ist nicht einfach. Von Joachimsthal führt eine kleine Straße nach Altkünkendorf, oder von Angermünde nimmt man die Straße nach Groß-Ziethen zum Flattergras-Buchen-
wald Grumsin. Mit 560 Hektar, dazu kommt eine Pufferzone von 110 Hektar, nur ein kleines Gebiet innerhalb des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. Schon etliche hundert Jahre hat der Grumsin nahezu flächendeckend als Laubwald überdauert. Das Zutrittsverbot als DDR-Staatsjagdgebiet kam auch störempfindlichen Tierarten sehr gelegen. 1990 wurde das Totalreservat ausgewiesen, das heißt genereller Nutzungsverzicht seit über zwanzig Jahren. Durch Nichtstun auf dem Weg zur Wildnis.

Blick auf das bewaldete Ufer des Buckowsees [Foto: Hartmut Richter]


Das Bild gefährdeter Zivilisationsinseln in der unendlichen Wildnis Europas hat sich gekehrt. Wildnisinseln werden geschützt und kontrovers diskutiert. Heute gilt die Erhaltung der Artenvielfalt neben dem Klimawandel als größte Herausforderung der Menschheit. Wildnis gibt Artenvielfalt Raum. Am Beispiel naturnaher Buchenwald Grumsin wird dieser Raum geschaffen durch einen hohen Altholzanteil und die Topographie der eiszeitlich überformten Landschaft mit Mooren und Kleingewässern. Aber erst die Altersphasen der Buchen von 300 Jahren schaffen die optimalen Bedingungen. Stämme werden rissig, Äste brechen ab, Baumhöhlen entstehen, Pilze und Flechten, Kleinsäuger, Insekten und Vögel finden ihren Lebensraum. Die ältesten Bäume im Grumsin sind etwa 190 Jahre alt.
Der Durchschnitt liegt deutlich tiefer. Wer Wildnis wagt, braucht also langen Atem. Der Begriff Totalreservat weicht dem Begriff Naturentwicklungsgebiet. Deutschland ist Buchenland mit einem Viertel des Gesamtrotbuchenbestandes. Von schneller wachsenden Nadelbäumen verdrängt, zählen sehr alte naturnahe Buchenwälder zu den stark bedrohten Lebensräumen, obwohl die Buche als Art keineswegs gefährdet ist.
Nun soll der Tourismus her für eine Zone, die geschützter Lebensraum störungsempfindlicher Tiere ist. Mit dem Unesco-Ritterschlag spielt man jetzt in einer Liga mit dem Grand Canyon und den Galapagos-Inseln. Die strukturschwache Region verbindet hohe Erwartungen mit der Ernennung, hofft auf Arbeitsplätze und Touristen. Ein Beirat mit Vertretern beider Landkreise, der Kommunen und der Naturschutzbehörde bemüht sich um das Miteinander. Interessen prallen aufeinander, und alles steckt in der Entwicklungsphase: die Natur, die touristische Infrastruktur mit Rad- und Wanderwegen, Erläuterungstafeln, Parkplätzen oder öffentlichen Toiletten, deren Finanzierung durch das Land mit beantragten 400.000 Euro und auch die Arbeit der Naturführer.
Das NABU Informationszentrum in der Nachbarschaft zeigt seit September eine Dauerausstellung zur Welt-erbestätte und koordiniert ein erstes Angebot an geführten Wanderungen durch den Grumsin. Elfi Laack von der Naturwacht Brandenburg gibt sich vorsichtig: „Das Netz der Naturführer, also Freiwillige, Mitarbeiter von Naturwacht, NABU und dem Verein Kulturlandschaft Uckermark, arbeitet eng zusammen. Wir sind am Ausprobieren. Wir wollen ganzjährig für die Besucher da sein. Wir brauchen Zeit, um Erfahrungen für die verschiedenen Jahreszeiten zu sammeln.“ Über Eiszeitland von Ort zu Ort, Grumsiner Impressionen oder Faszination Moor heißen die Touren. Gruppenanmeldungen für 10 bis 15 Leute sind möglich. Es werden aber auch Interessenten gesammelt und bei hinreichender Nachfrage Termine gestrickt. Drei Stunden Wandern durch Wald und Kulturgeschichte, die Geologie der Eiszeitlandschaft, Botanik und Zoologie für freundliche zwölf Euro, Kinder die Hälfte. Im Shuttle von der Blumberger Mühle aus oder direkt ab Treffpunkt Kirche Altkünkendorf. Je nach Angebot mit Kremserrückfahrt oder mit einem Picknickkorb voller regionaler Produkte. Vorbei an Lehm- und Tongruben und Steinschlägerstätten, einstige Materiallieferanten für die typische Back- und Natursteinbauweise. Alte Moore liegen am Weg, Schmelzrinnen und der Ausblick in den Urwald von morgen.

[Foto: Hartmut Richter]


Nur die Naturführer vom Kulturlandschaft Uckermark e.V. gehen mit Besuchern direkt in die Wildnis, in das Naturentwicklungsgebiet. Aus Lottomitteln erwarb der Verein diesen Teil des Grumsiner Buchenwaldes damals. Der Forstwissenschaftler Dr. Michael Luthardt ist Gründungsmitglied des Vereins. Von seiner Stelle in der Leitung des Biosphärenreservats, später dem Umweltministerium und Landtag in Potsdam aus betrieb er maßgeblich die Bewerbung und Nominierung zum Weltnaturerbe. „Wenn man die Verletzbarkeit der Natur zeigt, dann setzen sich die Menschen auch für sie ein.“

Brit Hartmann

Information
Zusammen mit dem Nationalpark Jasmund auf Rügen, dem Serrahn im Müritz-Nationalpark, dem Nationalpark Hainich in Thüringen und Kellerwald-Edersee in Hessen wurde der Schorfheider Grumsin als einzigartig und besonders schützenswert eingeschätzt. Allesamt sind wertvollste Relikte großflächiger, naturnaher Tieflandbuchenwälder. Es gibt sie nur in Deutschland. Sie wiederum ergänzen das seit 2007 bestehende Weltnaturerbe der Hochlandbuchenwälder in den Karpaten, der Slowakei und der Ukraine.

Informationen und Anmeldungen zu den Führungen:
NABU Informationszentrum
Blumberger Mühle, 16278 Angermünde
Tel.: (03331) 26 04 0
E-Mail: Blumberger.Muehle@NABU.de

48 - Herbst 2011