Vom Eisbrecher zum Musikdampfer

Die Leute am Tisch könnten verschiedener nicht sein. Was sie verbindet, ist die Liebe zu alten Schiffen. Organisiert sind sie alle in der Berlin-Brandenburgischen Schiffahrtsgesellschaft e.V. Max Hiller, ein gewandter und weltläufiger Mann in den Vierzigern, ist Vorstandsmitglied, Hafenmeister und Pressesprecher des Vereins.
„250 Mitglieder hat die Schifffahrtsgesellschaft und 30 dazugehörige Schiffe, der Großteil ist in Vereinsbesitz, einige sind privat“, erzählt er. Man begreife sich als eine Art fahrendes Museum. Was man hier am Historischen Hafen sieht, sind technische Denkmale, vom Schlepper über Fahrgastschiffe bis hin zu Polizeibooten. Wirtschaftlich waren die meisten der Schiffe, die jetzt hier am Märkischen Ufer vor Anker liegen, nicht mehr zu betreiben. Doch statt sie zu verschrotten, haben viele Eigner erst einmal beim Historischen Hafen angefragt. Das Flaggschiff des Vereins ist der Dampfer „Andreas“. Imposant liegt das gut 35 Meter lange Schiff mit dem weithin sichtbaren Schornstein am Kai. Dass es im Moment das größte Sorgenkind der Schiffsfreunde ist, sieht man dem stattlichen Dampfer nicht an. „Ja, leider ist der Kessel defekt, und zwar so sehr, dass er womöglich nicht mehr zu retten ist“, sagt Max Hiller. Dann kämen auf den Verein Kosten in Höhe von 300.000 Euro zu. Das sei allein mit Spendenaufrufen nicht zu bewerkstelligen.
Die kleine Schwester von „Andreas“ ist der Dampfeisbrecher „Anna“. Der Rumpf ist frisch lackiert, genauso wie der schwarze Schornstein und der weiße Namenszug. Das Schiff, das 1911 in Tangermünde gebaut wurde, wird in diesem Jahr 100 und hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Bis 1962 war es als Schlepper und Eisbrecher auf Havel und Elbe im Einsatz. Jahrzehntelang schleppte das Schiff Lastkähne beladen mit Holz und Steinen nach Berlin. Nach Außerdienststellung verfiel es zunehmend. „Teilweise war es sogar demontiert worden, so dass wir vor 13 Jahren nur noch Reste fanden“, erinnert sich Michael Brodthagen, der heutige Eigentümer. Der gelernte Hochseematrose mit dem Dreitagebart hat sich in das Schiff verliebt. „Ein bisschen wahnsinnig muss man sein, denn solch alte Schiffe sind wahre Geldgräber“, erzählt der Schiffsliebhaber. „Das geht nur mit sehr viel Idealismus.“ Heute kann man den Dampfeisbrecher chartern. Für bis zu 38 Personen ist er zugelassen. Dem Charme des Schiffes waren auch Film- und Fernsehfirmen erlegen. So ist es auch als Musikantendampfer bekannt geworden. Froh ist Michael Brodthagen darüber, dass auch Frau und Sohn ihre Liebe zu dem alten Schiff entdeckt haben. Wann immer sie können und es Not tut, sind sie mit an Bord. Hilfe hat Michael Brodthagen auch vonseiten anderer Vereinsmitglieder. Hannes Lauer zum Beispiel ist über den Verein mit Michael Brodthagen befreundet. Der gebürtige Rheinländer spricht nicht viel, aber er ist immer da, wenn er gebraucht wird. Vor allem ihm als gelerntem Maler ist es zu verdanken, dass „Anna“ farblich wieder so strahlt. Außerdem kümmert sich Lauer um das vereinseigene alte Fahrgastschiff „Eintracht“, das er auch fährt. Jedes Jahr schippert er mit ihm die Havel hinauf nach Fürstenberg zum Brandenburgischen Wasserfest. Für viele Einheimische war es ein freudiges Wiedersehen mit ihrer „Schüttelfrieda“, wie sie das Schiff liebevoll nennen. Von 1952 bis 1989 war es auf den Fürstenberger Gewässern unterwegs gewesen.
Im letzten Jahr hat der Historische Hafen sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Aus diesem Anlass ist eine Festschrift erschienen, in der die zahlreichen Ereignisse seit Gründung noch einmal nachzulesen sind. Hier erfährt man auch, dass es einen wissenschaftlichen Beirat gibt, der in einem alten Lastkahn regelmäßig Ausstellungen zur Geschichte der Binnenschifffahrt in der Region veranstaltet. Derzeit ist die reich bebilderte Ausstellung „Berlin ist aus dem Kahn gebaut“ zu sehen.

Karen Schröder

 

 

Information
www.historischer-hafen-berlin.de


 

48 - Herbst 2011
Stadt