Go West

Nach der Wende entdeckten Touristen, Clubgänger und Geschäftsleute Ost-Berlin. Doch jetzt scheint sich der Trend zu drehen – die City West ist im Aufwind. Davon profitiert besonders der Breitscheidplatz, wo rund um das traditionsreiche Europa-Center mehrere große Neubau- und Sanierungsvorhaben Gestalt annehmen.

In Berlin gibt es Dutzende von Einkaufszentren. Aber kaum eines, das über eine so lange Tradition verfügt wie das Europa-Center am Breitscheidplatz: In vier Jahren wird es seinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Zwischen 1963 und 1965 ließ der Berliner Unternehmer Karl Heinz Pepper das damals ausgesprochen moderne Europa-Center bauen: einen gemischt genutzten Komplex aus einem fünfgeschossigen Sockelbau und einem 103 Meter hohen Turm, der neben Läden und Büros auch das Kabarett „Die Stachelschweine“, ein Parkhaus und das Fünf-Sterne-Hotel „Palace“ umfasst.
Die Tradition prägt das Haus, wie Uwe Timm, der Leiter des Europa-Centers, berichtet: „Häufig beobachten wir Berliner, die ihren Gästen und Freunden das Europa-Center zeigen und ihnen erzählen, was sie mit unserem Haus verbindet.“ Aber kann das Einkaufzentrum noch mithalten mit der modernen Konkurrenz? „Ja“, sagt Timm – denn gerade das Andersartige macht für ihn den Reiz des Gebäudes aus: „Wir stehen dazu, dass das Europa-Center 45 Jahre alt ist und eine andere Architektur als die modernen Center hat. Aber das Europa-Center war und ist immer auch Wandel und deswegen heute mit seinen Mietern und Angeboten so modern wie nie.“

Das Kirchenschiff der Gedächtniskirche im Vordergrund, dahinter der eingerüstete Kirchturm
und das Europa-Center mit Mercedes-Stern als Erkennungssymbol

Außerdem unterscheide sich der Mietermix von dem in anderen Einkaufszentren. „Zwar gibt es auch bei uns Bonita, Saturn oder ganz neu Soccx Women“, so Timm. „Aber wir haben darüber hinaus viele inhabergeführte Läden und besondere Angebote – zum Beispiel den führenden Comic-Laden Berlins, ein bundesweit bekanntes Geschäft für Schuhe in Übergrößen sowie Modegeschäfte wie Made in Italy für Damen und Alexis für Herren.“
Täglich zählt das Einkaufszentrum im Durchschnitt zwischen 25 000 und 30 000 Kunden. Dabei profitiert es davon, dass der Breitscheidplatz seit Jahrzehnten als Herz der City West gilt und zahlreiche Touristen anlockt. Diese trinken gern eine Berliner Weiße mit Blick auf den 1983 angelegten Weltkugelbrunnen und auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Allerdings ist dieser Blick zur Zeit getrübt, da ein Baugerüst die Turmruine verhüllt, die als einziger Teil der 1895 errichteten und 1943 bei einem Bombenangriff schwer beschädigten Kirche stehen blieb. Bis voraussichtlich Ende 2012 wird der Turm saniert. Sichtbar ist dagegen der moderne Kirchenbau, der am 17. Dezember 1961, also vor genau fünfzig Jahren, geweiht wurde. Er wurde nach Plänen des Architekten Egon Eiermann errichtet, der ursprünglich die Turmruine hatte abreißen wollen – ein Vorhaben, von dem ihn erst der vehemente Protest der Berliner abbrachte.

Der Breitscheidplatz ist einer der bekanntesten und meistfrequentierten Plätze Berlins.
Der Weltkugelbrunnen zieht in den Sommermonaten vor allem Touristen an

Längst nicht mehr vorhanden ist dagegen eine andere Attraktion, die den Auguste-Victoria-Platz (so hieß der Breitscheidplatz früher) in der Zwischenkriegszeit prägte: das berühmte Romanische Café. Das befand sich genau dort, wo heute das Europa-Center steht, und galt als Treffpunkt von Künstlern und vor allem Möchtegern-Künstlern. „Das Romanische Café ist der Wartesaal der Talente“, spottete Erich Kästner 1928. „Es gibt Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten. Sie beherrschen, wenn nichts sonst, so doch die Kunst des Wartens in verblüffendem Maße.“
Das Europa-Center ist nicht das einzige Baudenkmal aus der Nachkriegszeit am Breitscheidplatz. Nördlich davon, an der Budapester Straße, erstreckt sich der aus mehreren Gebäudeteilen bestehende Zoobogen. Nach Jahren der Unsicherheit hat der neue Eigentümer, die Bayerische Hausbau aus München, mit der Sanierung des Ensembles begonnen, das jetzt unter dem Namen Bikini Berlin vermarktet wird. Nach Angaben von Stefan Günster von der Bayerischen Hausbau wird unter anderem ein Hotel mit einem ungewöhnlichen Konzept einziehen. Viel Gastronomie werde es außerdem geben und Läden „mit Konzepten, die man sich bisher im Westteil der Stadt nicht vorstellen konnte“ – also beispielsweise unkonventionelle Modeanbieter, die man eigentlich in Mitte oder Prenzlauer Berg vermuten würde.

Bis zu 30 000 Menschen bummeln täglich durch das Europa-Center. Neben den großen herkömmlichen Filialen beherbergt das Haus auch noch inhabergeführte Läden und besondere Geschäfte

 

Am nördlichen Rand des Breitscheidplatzes erstreckt sich der Zoobogen. Das Gebäude-Ensemble aus den 50er Jahren wird komplett umgebaut. Läden, Gastronomie und ein Hotel sind geplant


Weniger Glück als der Zoobogen hatte ein anderes Gebäude aus den späten fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts: das Schimmelpfenghaus, das den westlichen Abschluss des Breitscheidplatzes markierte. Obwohl es unter Denkmalschutz stand, wurde ein Großteil davon abgebrochen, um Platz für das Zoofenster-Hochhaus zu schaffen. Dieses 119 Meter hohe Gebäude ist mittlerweile weitgehend fertig; 2012 wird darin ein Luxushotel der Marke Waldorf Astoria die ersten Gäste empfangen. Doch auch für die 9000 Quadratmeter Bürofläche im Zoofenster verzeichnet die für die Vermietung zuständige Ute Sztandera reges Interesse: „Wir haben eine sehr gute Nachfrage von Firmen, von
denen man denken würde, dass sie lieber in Mitte sitzen würden.“
Gezählt sind auch die Tage des übrig gebliebenen Bauteils des Schimmelpfenghauses: 2012 will ihn die Strabag Real Estate abreißen, um den Atlas-Tower, einen weiteren rund 120 Meter hohen Turm, zu errichten. Pläne dafür gibt es seit den neunziger Jahren; dass sie jetzt realisiert werden sollen, erklärt Strabag-Geschäftsführer Thomas Hohwieler damit, dass „go west sexy ist“. Noch ist die genaue Nutzung des rund 250 Millionen Euro teuren Neubaus nicht festgelegt.

links: Die letzten Bauarbeiten vor der Eröffnung des Zoofensters.
Bald öffnet hier Waldorf-Astoria seine Pforten; rechts: Uwe Timm, Leiter des Europa-Centers

Sicher wird es Läden geben, daneben sind Büros, aber auch ein weiteres Hotel und sogar Wohnungen denkbar. Bis 2015 will Hohwieler den Bau vollendet haben. „Diese Entwicklungen in unserem Umfeld sind ohne Abstriche positiv zu sehen“, urteilt Uwe Timm vom Europa-Center. „Die Projekte vermitteln eine Aufbruchstimmung, und starke Nachbarn können unserem Standort nur gut tun.“ Ähnlich wie Hohwieler beobachtet er einen „Trend zurück in den Westen“, der sich auch in einer steigenden Nachfrage nach Büroflächen manifestiert. Von den 25 000 Quadratmetern Bürofläche sind mittlerweile jedenfalls über neunzig Prozent vermietet.Und dann gibt es im Europa-Center auch noch einen Mieter, der beweist, dass der Breitscheidplatz sogar für Clubgänger attraktiv sein kann: Im 20. Obergeschoss residiert mit der Puro Lounge nämlich eine der angesagtesten Party-Locations der Stadt.

Blick aus der PURO - Sky Lounge Berlin im Tower des Europa-Centers

 

Emil Schweizer
 

 

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Ein Streifzug durch die Geschichte des Ku'damms: „Der Kurfürstendamm – Ein Bummel über Berlins legendären Boulevard“ von Peter Eichhorn

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49 - Winter 2011/12
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