Retter auf verlorenem Posten?


Alt-Trainer Otto Rehhagel unterbricht seinen Ruhestand, um die Fußball-Profis von Hertha BSC aus der Lethargie wachzurütteln

Lange hat Hertha BSC nicht so einen Medienauflauf erlebt wie an jenem nasskalten 21. Februar 2012. Mehr als 30 Pressevertreter, mehr als die Hälfte davon mit Fotoapparat oder Kamera bestückt, umlagerten bei dichtem Schneetreiben das Trainingsgelände am Olympiastadion. Grund waren aber nicht die seit elf Pflichtspielen sieglosen Fußball-Profis des Bundesligisten. Im Mittelpunkt stand der Trainer, den der zuletzt viel gescholtene Manager Michael Preetz wie ein Magier aus dem Hut gezaubert hatte. Die Übungseinheiten der verunsicherten Sportler leitete Otto Rehhagel, der als 73 Jahre alter Pensionär nach der Entlassung seines Vorgängers Michael Skibbe nicht einmal mehr auf der überschwappenden Kandidatenliste der Boulevardmedien Anschluss gehalten hatte.

„Macht hier keinen Personenkult um mich. Es geht einzig und allein um Hertha“, kokettierte das als Heilsbringer umschwärmte Urgestein wie zu seinen besten Zeiten vor der Pressemeute – wohl wissend, dass er für die nächsten drei Monate bis zum Saisonende die Hauptperson im Verein sein wird. Und auf diesem kurzen Weg hat der gelernte Maler und Liebhaber klassischer Musik nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird er als Retter des Vereins auf Händen durchs Brandenburger Tor getragen – oder mit Schimpf und Schande zurück auf seinen Ruhesitz gejagt.

Die zweite Variante klingt so wahrscheinlich, dass es einem schon leidtun kann um eine der größten deutschen Trainer-Ikonen. Rehhagel, der sich selbst als Kind der Bundesliga bezeichnet, hat in dieser Spielklasse mehr bewegt als Hertha BSC in seiner gesamten Vereinsgeschichte. Insgesamt 1021 Partien als Spieler oder als Trainer hatte der gebürtige Essener vor seinem Amtsantritt in Berlin in der Bundesliga bestritten. Hertha BSC feierte Anfang Februar gerade seinen 1000. Auftritt in der höchsten deutschen Fußball-Etage.

Während die Leistungskurve der Hauptstädter in den vergangenen Monaten nicht nur permanent, sondern auch steil nach unten zeigte, schien „König Otto“ den perfekten Zeitpunkt für den Übergang in den Ruhestand gewählt zu haben. Zuerst legte er mit 14 Trainerjahren bei Werder Bremen eine heute noch bestaunte Sesshaftigkeit an den Tag, wurde in dieser Zeit an der Weser Meister und Pokalsieger. Nicht zu toppen schien sein Kunststück, den 1. FC Kaiserslautern 1998 als Aufsteiger zur Deutschen Meisterschaft geführt zu haben. Doch Reh-
hagel schaffte die Steigerung: 2004 wurde er als Nationaltrainer Griechenlands mit den Hellenen Europameister. Wer sich das vorauszusagen getraute, wurde bei der Quote von 100:1 für den krassen Außenseiter ein reicher Mann!

Wie Rehhagel das erreichte, ist bis heute umstritten. Er nahm dem Fußball einfach jede Attraktivität und ließ die Ball-Arbeiter agieren nach dem Motto: Wir machen hinten alles dicht, und vorne hilft uns der liebe Gott. Egal – er schaffte die Sensation, wofür die Griechen ihren „Rehakles“ zum Ehrenbürger ernannten und alle EM-Spiele zum Jahresende noch einmal in voller Länge im Fernsehen zeigten. Zur bes-ten Sendezeit.

Nun haben viele Berliner Angst, dass Rehhagel mehr als elf Jahre nach seinem letzten Auftritt in der Bundesliga auch bei Hertha die Stürmer auf die Bank verbannt und nach dem griechischen Motto sein Heil versucht. Man wird ihn erst einmal agieren lassen. So oder so. Erstens hat der hoch verschuldete Verein keine andere Wahl, er muss schließlich noch die Saison-Vorgänger Markus Babbel und Michael Skibbe entlohnen. Zweitens verweisen die Fans des Trainers auf die gemeinsamen Wurzeln. Als die Bundesliga 1963 aus der Taufe gehoben wurde, stand in den Reihen von Hertha BSC ein Verteidiger namens Otto Rehhagel. Mit ihm kamen die Berliner nicht über das Dasein einer Grauen Maus hinaus. Aber sie sind mit ihm auch nicht abgestiegen.

Hans-Christian Moritz

 

50 - Frühjahr 2012
Sport