Schmerz als Warnsignal

Eines der häufigsten Leiden in Deutschland sind die ­Rückenschmerzen. In den meisten Fällen kann das Leiden ohne Operation behandelt werden.

Von Prof. Dr. med. Jörg Scholz, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, HELIOS Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf

Wenn wir von Rückenschmerzen sprechen, beschreiben wir den Ort der Schmerzempfindung, ohne die Schmerz­ursache primär darzustellen. Grund hierfür ist, dass sich das Organsystem Rücken aus vielen unterschiedlichen anatomischen Strukturen zusammensetzt und vielfältige Beziehungen zu anderen Organen hat. Hierzu gehören die Bandscheiben, das Rückenmark und die Nervenwurzeln.

Ursachen für Rückenschmerzen können chronisch entzündliche Erkrankungen und Unfallfolgen sein. Unterschätzt wird immer wieder die enge Beziehung zwischen dem Organsystem Rücken und der Psyche. „Das bricht mir das Kreuz“, „Den muss ich wieder aufrichten“ zeigen das gute Verständnis für dieses Phänomen im allgemeinen Sprachgebrauch.

Zur Diagnostik bei Rückenschmerzen gehört vordergründig eine differente körperliche Untersuchung mit einer ausführlichen Erhebung der Krankheitsvorgeschichte. Hieraus lassen sich ggf. weitere diagnostische Schritte ableiten oder bereits ein Therapieschema aufstellen.

Die Therapie von Rückenschmerzen beginnt mit präventiven Maßnahmen. Eine gezielte Belastung ist besser als eine Entlastung. Dies verlangt auch im Alltag, dem System sinnvolle Las­ten zuzumuten und schädigende Lasten zu vermeiden. Überwiegend sitzende Tätigkeiten, das Heben und Tragen schwerer Lasten und unphysiologische Körperhaltungen sind Schadensauslöser, die ausgeglichen werden müssen. Eine sinnvolle Prophylaxe ist regelmäßige Bewegungstherapie in Form von Rückenschule, aber auch sportliche Betätigungen. Die Betonung muss hierbei auf der Regelmäßigkeit liegen, d.h. zwei bis drei Mal pro Woche sollte der Rücken trainiert werden. Rückenbelastende Sportarten wie Golf oder Tennis erfordern ein sorgfältiges Aufwärmen mit zunächst reduzierten Bewegungsumfängen und langsamer kontinuierlicher Steigerung. Bei einsetzenden Schmerzen sollten alle sportlichen Betätigungen unterbrochen werden, da der Schmerz als Warnsignal für eine fehlerhafte Belas-tung interpretiert werden muss.

Persisiert der Schmerz, dann ist vor jeder Therapie die Schmerzursache eindeutig festzustellen. Der größte Teil der Rückenschmerzen lässt sich konservativ, d.h. ohne Operation behandeln. Hierbei kommen in der akuten Phase Schmerzmittel, ggf. auch Injektionen in Kombination mit einer gezielten Bewegungstherapie zur Anwendung. Eine Immobilisation ist kontraproduktiv. In seltenen Fällen, zum Beispiel bei nachgewiesenem Bandscheibenvorfall mit bleibender
Irritation des Rückenmarks und der Nervenwurzeln, erkenntlich an Muskellähmungen, Gefühlsstörungen und Reflexausfällen, sind minimal-invasive Operationen erforderlich, die bei gezielter Nachbehandlung eine weitgehende Wiederherstellung der Belastung ermöglichen. Auch bei fortgeschrittenen Verschleißprozessen mit Ein­engungen des Wirbelkanals und dauernder Druckwirkung von knöchernen Wulstbildungen auf das Rückenmark sind operative Eingriffe mit Erweiterung des Wirbelkanals hilfreich.

Als Fazit kann deshalb gelten, dass bereits im jugendlichen Alter Zwangshaltungen des Rückens im Alltag durch Bewegungstherapie ausgeglichen werden sollten. Im Vordergrund hierfür steht ein regelmäßig ausgeübter Freizeitsport mit einer altersadäquaten Belastung und einer vernünftigen Vorbereitung. Alltagsstress mit hoher psychischer Belastung ist als Teilursache zu erkennen und in die Therapie mit einzubeziehen. Für den Rücken gilt im besonderen Maße: Bewegung ist besser als Ruhigstellung.

 

50 - Frühjahr 2012