Kunst, Kaffee und Blumen

Seit 35 Jahren lädt „Mutter Fourage“ nach Wannsee

Hier, unweit des Stölpchensees, ist Berlin so ländlich, wie man es selten findet. Das alte Dorf Stolpe ist der traditionelle Kern von Wannsee. Nicht die bekanntere Villenkolonie Alsen. An der Chausseestraße lädt seit nunmehr 35 Jahren Mutter Fourage zu einem Besuch. Die ursprüngliche Nutzung des Anwesens ist noch deutlich ablesbar. Als da sind Scheune, Stallgebäude, Wirtschafts- und Wohnhaus. Fourage heißt Futter und nimmt Bezug darauf, dass sich an diesem Ort einst eine Futter­mittelhandlung befand. Das ist lange her. Heute kommt man, weil es das weinumrankte Hofcafé gibt, den Blumenladen und die Galerie, weil hinter dem hölzernen Scheunentor Konzerte und Lesungen veranstaltet werden. Mutter Fourage ist ein Refugium. Auf dem gepflasterten Hof mit dem Taubenschlag in der Mitte stapeln sich die Terracotta-Töpfe. Gartenstühle laden zum Verweilen ein. Ein beinahe südliches Flair kommt auf.

Wolfgang Immenhausen, Betreiber und Galerist, ist hier bei seinen Großeltern aufgewachsen. „Wannsee ist für mich Heimat, ich bin hier tief verwurzelt“, erzählt er. Doch nach seinem Schauspielstudium stand ihm erst einmal nicht der Sinn nach Futtermittelhandlung. Engagements an Theatern in Hamburg und Köln rückten Wannsee für einige Jahre in die Ferne. Doch pünktlich 1968 war der junge Schauspieler zurück in Berlin, spielte am Grips-Theater und engagierte sich politisch. Vom alternativen Lebensgefühl beflügelt, übernahm er in den Siebzigern den großelterlichen Hof. Gemeinsam mit Freunden machten sie Mutter Fourage zu einem ökologischen Bürgerzentrum. Das alte Wannsee drohte durch Baumaßnahmen sein Gesicht zu verlieren, und Wolfgang Immenhausen kämpfte mit seinen Mitstreitern in vorderster Front dafür, dass das so nicht geschah. Manche Bausünde habe man aber leider nicht verhindern können. Allein die viel zu breite Königstraße bleibt ein Ärgernis. „Damals gab es auf dem Hof noch Pferde, Schweine, Ziegen und Federvieh“, erinnert sich Immenhausen. „Wo früher die Hühner Auslauf hatten, sitzen heute Cafégäste.“ Gärtnern ohne Gift, das habe man sich auf die Fahnen geschrieben und im neu belebten Geschäft dem Großstädter entsprechende Waren und Beratung angeboten. Doch die Kulturarbeit lief bei Mutter Fourage von Anfang an parallel. Man veranstaltete Feste und organisierte Ausstellungen. Leib und Seele zu versorgen, das ist bei allen Veränderungen bis heute das Konzept geblieben. Die Läden und das Café sind vepachtet. Wolfgang Immenhausen widmet sich ganz der Kultur. Unterstützt wird er dabei von dem Autor Reiner Lücker und einem über hundert Mitglieder zählenden Förderverein. „Ohne den Verein könnte ich die rund 50 Veranstaltungen gar nicht stemmen“, so Immenhausen. „Da müssen GEMA-Gebühren, Porto- und Druckkosten bezahlt werden sowie Versicherungen und Transport für den Konzertflügel.“

Künstler aus Wannsee zu würdigen, bildet für den Lokalpatrioten dabei immer einen Schwerpunkt. In seiner Galerie und darüber hinaus. So war er es, der federführend mit dafür sorgte, dass aus dem Liebermann-Haus das wurde, was es heute ist. Wolfgang Immenhausen ist ein Mensch, der nicht locker lässt.

Jetzt, da das Liebermann-Haus und Mutter Fourage erfolgreich laufen, wendet er sich einem neuen Wannsee-Projekt zu, der leer stehenden Villa Oppenheim, einem Alfred-Messel-Bau. Gemeinsam mit Mitstreitern soll hier ein weiterer öffentlich zugänglicher Kunstort entstehen, doch das ist Zukunftsmusik.

Erst einmal bereitet Immenhausen die nächsten Konzerte vor und die neue Ausstellung, die im August in der Hof-Galerie eröffnet wird. Gezeigt werden Landschafts- und Gartenfotos von Gabriele Costas und Janos Frecot. Darunter Aufnahmen, die vor Jahrzehnten in dem verwunschenen Malergarten Johannes Niemeyers im nahen Steinstücken entstanden sind. Auf dem Fourage-Hof zelebriert man das ländliche und gute Leben. Gleich am Eingang begrüßt die üppige Pflanzenwelt eines Blumenhändlers den Besucher. Der Rittersporn kommt von einem Förster-Schüler aus Potsdam-Börnicke. Schnittblumen nicht aus Holland, sondern oft von Kleingärtnern aus der Umgebung. Der kleine traditionelle Bioladen – er wird durch die Pächter des Hofcafés mit betrieben – hat Konkurrenz bekommen durch einen unweit entstandenen Bio-Supermarkt. Doch für Wolfgang Immenhausen und die Betreiber kein Grund, das Konzept umzustellen. Sind sie damit doch sehr erfolgreich.

Die Besucher der Veranstaltungen kommen aus ganz Berlin und von auswärts. „Weniger aus Wannsee selbst“, sagt Wolfgang Immenhausen mit ein wenig Bedauern.

Karen Schröder

 

51 - Sommer 2012
Stadt