Der Kernberliner

Theater-, Film- und Fernsehstar Florian Martens:

Augenblicklich leidet er unter Schlafmangel. Florian Martens dreht die 54. Folge der TV-Reihe Ein starkes Team. Für die markante Rolle des hemdsärmligen Ermittlers Otto Garber (Kennzeichen Rollrandmütze) steht er bereits seit 1993 jährlich für zwei bis drei Folgen vor der Kamera. Er weiß, was er diesem Rollenvolltreffer zu verdanken hat, merkt jedoch an: „Ich kann nich‘ schon um zehn ins Bett gehen, nur weil ick um sechse zum Drehen abgeholt werde! Also ist die Nacht zu kurz für mich.“

Ein Frühaufsteher war er nie. „Ich halte den inoffiziellen Rekord im Zuspätkommen“, erinnert sich der 54-Jährige an seine Schulzeit in der DDR. So steht es auch schwarz auf weiß im Zeugnis. „Genau in dem Jahr, wo ick mich für einen Beruf bewerben musste und in dem mein Zeugnis sowieso grottenschlecht war, hieß es in meiner Beurteilung u.a.: ‚Legt einer sozialistischen Schülerpersönlichkeit hohnsprechendes Verhalten an den Tag.‘ Verschärft wurde das Urteil durch die üblichen Kopfnoten für Betragen, Gesamtverhalten, Mitarbeit und Fleiß. Bei uns gab es keine Note Sechs. Fünf war das Schlechteste. Bei mir stand bis auf eine Vier in Mitarbeit alles auf Fünf. Der Zeugnis-Schlusssatz lautete: ‚Er kam 183 Mal zu spät.‘ Wenn man die ganzen Sonn- und Feiertage sowie die Ferien abzieht, bleibt nicht mehr viel übrig. Und wenn ick heute um acht meine kleine Tochter Milla zur Schule bringe, ist mir det viel zu früh.“ Florian Martens berlinert privat recht gern. Beruflich nur, wenn es die Rolle verlangt. Auch sein Hochdeutsch ist exzellent. Auf alle Fälle spricht er so rasant, dass einem beim Zuhören die Ohren glühen. Seine Erklärung: „Ich spreche immer so schnell, weil ich auch so schnell denke. Außerdem will ich, wenn ich schon rede, auch alles loswerden. Det spart ooch Zeit.“ Anzunehmen, dass Geduld nicht seine Stärke ist. „Det stimmt allerdings“, lautet die Antwort. „Ick bin leider ein ungeduldiger Mensch. Bin immer geladen.“

Bis er zu seiner wahren Berufung fand, probierte er sich in vielem aus und warf hin, wenn ihm etwas nicht passte, erfand sich neu. Er arbeitete als Baumaschinist bei der Reichsbahn, fuhr Bagger und Planierraupen, war zeitweise auch Lkw-Fahrer. Sein Traumberuf wäre freilich Jockey gewesen. Pferde waren seine erste Leidenschaft. „Ich hatte sogar schon eine Lizenz zum Rennreiten“, sagt er. „Aber als Jockey hätte ich einen Kopf kleiner und einen halben Zentner leichter sein müssen.“

Lange wusste er nicht, dass sich tief in seiner Erbmasse ein hochkarätiges Schauspieler-Gen verbarg. Er dachte bis zum 10. Lebensjahr, dass der Regisseur Hans-Joachim Martens sein leiblicher Vater sei. Irrtum. Sein Vater war der große Schauspieler Wolfgang Kieling. Er hatte Florians Mutter, die Schauspielerin Ingrid Rentsch, damals wohnhaft in West-Berlin, schon vor seiner Geburt verlassen. Florian war noch ein Baby, als seine Mutter den Regisseur Martens heiratete, ­einen überzeugten Kommunisten aus Ost-Berlin, der kurz nach dem Mauerbau Frau und Adoptivkind in die Zone holte. „So wurde ich Ossi“, resümiert Martens knapp. Genau wie sein leiblicher Vater, der aus politischen Gründen 1968 in die DDR übersiedelte, sich jedoch schon nach zwei Jahren wieder in den Westen absetzte, blieb auch Sohn Florian ein unabhängiger Kopf, ein Selbstdenker. Für die Kehrtwende seines ­Vaters bringt er viel Verständnis auf. Er sagt: „Dass ein westdeutscher Intellektueller und Künstler, der die DDR mit ihrer flächendeckenden Stasi-Überwachung nicht kannte, erst seine eigenen Erfahrungen machen musste, ist mir klar. Es hat zwei Jahre gedauert, bis er begriff, was jenseits der schönen Utopie von Marx und Engels in diesem Land wirklich lief.“

Richtig kennenlernen konnte Florian Martens seinen Vater, dem er wie aus dem Gesicht geschnitten ist, leider nicht. „Er ging ja schon 1970 wieder in den Westen“, sagt er. Dann habe ich 13 Jahre nichts von ihm gehört. Erst 1983 rief er plötzlich an. Ich studierte schon Schauspiel an der Ernst-Busch-Hochschule. Da hat er mitbekommen, dass ich beruflich in seine Fußstapfen trete, und fing an, sich für mich zu interessieren. Dann haben wir uns regelmäßig gesehen. Das waren schöne Treffen. Ich hab’ ihn ja als Künstler sehr verehrt und mochte ihn auch als Menschen gern. Aber leider ist er schon zwei Jahre später mit nur 61 Jahren gestorben.“

Die Wiedervereinigung fügte mit West und Ost auch die Lebenswelten Florian Martens‘ zusammen. Nun wurde er zum Kernberliner. Seine Karriere nahm in Gesamtdeutschland Fahrt auf. „Nach der Wende bin ich ja gleich durchgestartet mit vier Kinofilmen“, erinnert er sich. „Da dachte ich: Donnerwetter, det jeht ja schnell hier!“ Auch das Fernsehen gab ihm Glanzrollen. Für den Krimi Freier Fall wurde er 1998 mit dem Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet, in Dieter Wedels Der König von St. Pauli brillierte er als Transe wie einst sein Vater in Reservat. Nur in einem Punkt sind Vater und Sohn sehr gegensätzlich. Wolfgang Kieling war viermal verheiratet und wurde viermal geschieden. Aus seiner zweiten Ehe mit Gisela ­Uhlen stammt Florians Halbschwester Susanne Uhlen. Martens war dagegen noch nie verheiratet. Er sagt: „Wenn ich jedesmal geheiratet hätte, wär‘ ich auch schon mehrfach geschieden. Aber ich wüsste nich’, warum ich heiraten soll.“ Seine beiden Töchter, Rosa (18) und Milla (6), aus zwei Beziehungen, die in Freundschaft endeten, leben bei ihren Müttern. „Rosa und Milla sind für mich das Wichtigste“, bekennt Martens. „Ich wohne allein, aber die Mädchen haben eigene Zimmer bei mir. Sowohl in der Stadtwohnung als auch in meinem Häuschen am Krüpelsee in Brandenburg. Allet janz entspannt.“ Wat will man mehr?

Gudrun Gloth

 

51 - Sommer 2012