Tapete

Die Renaissance eines Klassikers

Kulturgut Tapete
Als 1930 der Bauhaus-Direktor und Architekt Hannes Meyer an seiner Hochschule – nach anfänglichem Widerwillen – einen Wettbewerb zur Gestaltung von Tapeten stattfinden ließ, ahnte er nicht, dass er damit den Grundstein für die Akzeptanz und Verbreitung der modernen Tapete legte. Auf der Grundlage dieses Wettbewerbs entstand die sogenannte „blaue Bauhaus-Karte“, die sich binnen vier Jahren mit über sechs Millionen Rollen verkaufen ließ.

Derzeit erlebt die Tapete einen rasanten Aufschwung. In Restaurants, Cafés, Galerien und Geschäften verblüffen Effekte, moderne Prints und ungewöhnliche Oberflächen an den Wänden. Der Trend setzt sich fort in öffentlichen Gebäuden und Privatwohnungen.

Seit mehr als zehn Jahren beauftragt die Marburger Tapetenfabrik für ihre Reihe Art Borders namhafte Künstler und Designer damit, Wandbeläge zu gestalten. Darunter eine der wichtigsten Architektinnen: Zaha Hadid. Gleich vier Kollektionen stammen aus dem Entwurf der Pritzker-Preisträgerin, mit denen sie unsere Sehgewohnheiten herausfordert. Durch lebendige, intensive Farben und Motive von bis zu neun Metern Breite und über drei Metern Höhe setzt sie Räume förmlich in Bewegung, vervielfacht und verdichtet Fläche und erzeugt plastische Tiefe.

Über 80 Prozent der Deutschen bevorzugen farbig gestaltete Wände, darunter zunehmend Design-Tapeten mit Mustern oder Ornamenten, schreibt das Deutsche Tapeteninstitut in Düsseldorf. Auch bei Architekten und Innenarchitekten ist das Interesse an der Gestaltung mit Tapete deutlich gestiegen. „Seitdem das Ornament im Sinne der Moderne wieder offen und neu interpretiert wird, hat auch die Tapete den Weg aus den privaten Wohnzimmern zurück in die professionelle Innenarchitektur gefunden. Denn dass sie dorthin gehört, hatten schon Le Corbusier oder Martin Gropius mit ihren Tapetenent­würfen bewiesen“, so Dietmar Danner, Chefredakteut der Architekturzeitschrift AIT.

Neben Architekten erliegen auch Modeschöpfer dem Reiz der Wandgestaltung, wie beispielsweise Harald Glööckler oder Barbara Becker.

Ebenso ließ sich der Fotograf Konstantin Eulenburg inspirieren: Die modernste Druckmaschine für Digitaldrucktapeten steht in Marburg und gab dem Hamburger Anlass, das Thema neu zu interpretieren. Daraus ist die ungewöhnliche Tapetenkollektion „Identity“ entstanden: Ein überdimensionaler Daumenabdruck auf Folie fotografiert, ausgeleuchtet, vergrößert und so lange bearbeitet, bis ein Kunstwerk entstand. Bei näherer Betrachtung erinnert es an einen Wind- oder Wasserstrudel, eine Wetterkarte oder auch an Holzmaserungen. Umweltverträglichkeit spielt eine große Rolle bei Erisman Tapeten: „Wir ruhen uns nicht auf Altbewährtem aus, wenn es zeitgemäße Lösungen gibt“, so die Unternehmensphilosophie. Die Innovation heißt: phthalate-freie Profilschaum- und Vinyl-Tapeten. Phthalate zählen zu den schwerflüchtigen organischen Verbindungen und stehen im Verdacht, die Gesundheit zu beeinträchtigen. Sie können durch die Raumluft bzw. auch durch die Nahrung aufgenommen werden und stehen besonders in Zusammenhang mit Spielzeug und Babyartikeln in der Kritik. Wer in Berlin lebt und einen Tapetenwechsel plant, sollte in jedem Fall bei „Schulze´s Tapetenhaus“ (seit 1925) in der Provinzstraße 57 in Reinickendorf vorbeischauen. Hier kann man unter kundiger und freundlicher Beratung von Rudolf Dietzmann aus 20 000 Tapetenmustern wählen. Über 100 Millionen Tapetenrollen wurden allein 2011 in Deutschland verkauft, was einem Zuwachs um fast 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

 

 

52 - Herbst 2012