Das verschollene Varieté

Im Herzen von Berlin wurde nach etwa 80 Jahren ein längst in ­Vergessenheit geratenes Theater wiederentdeckt. Ein Berliner Immobilien-Unternehmer hat 2008 ein halb verfallenes Varietéhaus von 1905 im Hinterhof der Gartenstraße 6 in Berlin-Mitte entdeckt. Inmitten von Wohnhäusern und nur wenige Meter vom bekannten Stadtbad Mitte entfernt, steht ein unscheinbares Gebäude, dessen heruntergekommene Fassade mit zugemauerten Fenstern nicht erahnen lässt, ­welche beeindruckende Architektur sich im Inneren verbirgt. Die „Moritz Gruppe“ hat das Gebäude im letzten Jahr erworben. Das dreistöckige Haus beherbergt einen alten Saalraum und eine Theaterbühne, es gibt Wandmalereien und meterhohe Decken. Das Haus wurde 1905 von Bauunternehmer Oscar Garbe nach eigenen Plänen errichtet. Neben der Samariter- und der Erlöser-Kirche entwickelte Garbe mehrere Fabrikgebäude und Gebäude für den Ullstein-Verlag in Berlin. Der mit Deckengewölbe und Bühne ausgestattete Theatersaal in der Gartenstraße wurde als Varieté und Wirtshaus unter dem Namen „Fritz Schmidt’s Restaurant und Festsäle“ in Betrieb genommen und etablierte sich rasch in der Berliner­ Ballhausgesellschaft. Noch heute sind aus dieser Zeit einige Lokale erhalten, wie beispielsweise das unweit der Gartenstraße gelegene „Clärchens Ballhaus“. Nach wechselnden Betreibern erlebte das Gebäude ab 1919 unter­ dem Namen „Kolibri-Festsäle und Kabarett“ seine Glanzzeit im Quartier Latin, wie die Gegend in der Zeit der Zwanziger von den Berlinern genannt wurde. Ab dem Jahr 1934 gibt es allerdings keine Hinweise mehr auf einen Gastronomiebetrieb, und der Theatersaal geriet vollkommen in Vergessenheit. In der Nachkriegszeit wurden die unteren Räumlichkeiten lediglich zur Lagerung von Bauschutt und Müll ­genutzt. Die später niedergelassene Schlosserei nutzte ausschließlich das Erdgeschoss. Die Witterung und der jahrelange Leerstand taten ihr Übriges. Erst mit den Entrümpelungsarbeiten im Sommer 2011 wurden die Räumlichkeiten wieder zugänglich gemacht, und Teile des ­alten Glanzes kamen ans Licht. Unter dem Projektnamen ­Secret Garden ist das Saalgebäude nun der Öffentlichkeit für einen begrenzten Zeitraum zugänglich, bevor sich die ­Türen zur Planung und Entwicklung wieder schließen.
 

52 - Herbst 2012
Stadt