Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Roland Hetzer

Wenn es um medizinische Herzensangelegenheiten geht, gibt es in Berlin einen Namen, der rund um den Globus bekannt ist: Roland Hetzer. Er ist einer der weltweit führenden Herzchirurgen und Transplantationsmediziner. Eine heimische Boulevardzeitung sieht in dem Ärztlichen Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB) das „Herz-Ass“ der Stadt. Für den Autor dieser Zeilen, das sei nur nebenbei bemerkt, ist der heute 68-jährige Mediziner schlicht der Arzt, der bei ihm 2004 einen angeborenen Herzfehler korrigiert und eine künstliche Aortenklappe eingesetzt hat.

Und dies ist „nur“ eine von mittlerweile über 70 000 Operationen am offenen Herzen, die Hetzer und seine Teams seit der Eröffnung des Weddinger Spezialklinikums 1986 vorgenommen haben. Rund 8 000 stationäre und 17.000 ambulante Patienten aus dem In- und Ausland werden dort am Augustenburger Platz 1 jährlich um- und versorgt. „Kein Patient, egal wie alt er ist oder wie schwer seine Erkrankung auch sein mag, wird abgelehnt, sondern erfährt eine bestmögliche, individuell angepasste Behandlung“, lautet nicht nur das Credo Hetzers, sondern auch der Leitsatz des DHZB.

Die medizinische Karriere des in Neuhammer im Sudetenland geborenen Herzchirurgen begann, wenn man so will, als er nach seinem Abitur 1963 an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und ab 1964 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin studiert. 1969 legt er erfolgreich das Staatsexamen und das amerikanische Examen ECFMG ab. Nach Promotion und Approbation arbeitet er zunächst als Assistenzarzt in Augsburg, wo er auch zur Schule gegangen ist. Es folgen Stationen als wissenschaftlicher Assistent an der Medizinischen Hochschule Hannover und als Clinical Fellow am Pacific Medical Center in San Francisco und an der kalifornischen Stanford University. 1977 schließlich wird Hetzer als Facharzt für Chirurgie anerkannt und kehrt nach Deutschland zurück, wo er ab 1978 als Oberarzt in Hannover arbeitet. Dort habilitiert er 1979 und bekommt 1983 eine außerplanmäßige Professur.

In diesem Jahr nimmt Hetzer auch seine erste Herztransplantation vor. Die Berufung zum Universitätsprofessor lässt dann nicht mehr lange auf sich warten und führt ihn 1985 an die Freie Universität nach Berlin. Mit der Übernahme des DHZB als Ärztlicher Direktor und Leiter der Herzchirurgie beginnt dann eine Entwicklung, die vor dem Hintergrund des erfolgreichen Auf- und Ausbaus dieser Klinik zu einem weltweit renommierten Herzzentrum ihresgleichen sucht.
Dabei ist der Preis, den Hetzer und seine Familie vor allem anfangs zahlen müssen, relativ hoch. Vor allem in den ersten Jahren übernachtet er fast jeden zweiten Tag im DHZB – und das, obwohl er erst 1984 seine Frau Magdalena geheiratet hat und bereits das erste von ihren drei Kindern geboren ist. „Das war nicht schön“, erinnert er sich heute, „aber es ging nicht anders.“ Vor allem seine Frau habe in dieser Zeit sehr gelitten, aber dennoch immer hinter ihm gestanden.

Der erste Meilenstein bei der Entwicklung des DHZB ist sicherlich die erste erfolgreiche Implantation eines Kunstherzens, die Hetzer 1987 vornimmt. Nach nur drei Jahren kann er diese Operation erstmals auch bei einem Kind erfolgreich durchführen. Bis heute ist dieses System international das einzige Herzunterstützungssystem für Neugeborene, Säuglinge und Kinder. Jährlich sind es rund 3 000 Operationen am offenen Herzen, bei denen die Herzlungenmaschine zum Einsatz kommt, und etwa 1 500 weitere Operationen, darunter auch die hochmoderne Hybridchirurgie, bei der sich Herzchirurgie und Katheterintervention in einem Spezial-Operationssaal ergänzen. Dabei vergeht nach wie vor kaum ein Tag, an dem Hetzer nicht selbst am OP-Tisch steht und neue Verfahren initiiert. Eine letzte Neuentwicklung ist ein aus Kälberherz-Gewebe erstellter Aortenklappenersatz, der mittels Katheter ins Herz geschoben und eingesetzt wird und damit vor allem für ältere Menschen eine schonendere Option darstellt.

Angesichts solcher Leistungen kann es nicht sonderlich verwundern, dass Hetzer mit Auszeichnungen und Ehrentiteln überschüttet worden ist: Verdienstorden des Landes Berlin (1987), Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1995), Ehrenprofessorwürde der Shanghai Second Medical University (1999) und mehrere Ehrendoktorate (2001 Universität Fujian, 2002 Kardinal-Stefan-Wyszy´nski-Universität Warschau und Universität Sarajevo, 2006 Medizin-akademie Woronesch Burdenko sowie 2009 Lomonossow-Universität Moskau).

Wer nun glaubt, Hetzer sei ein besonders eitler Mensch, der irrt. Ganz im Gegenteil. Eher bescheiden redet er über seine Karriere und Verdienste. Wenn bei ihm überhaupt einmal so etwas wie Stolz durchscheint, dann ist es, wenn er über die vielen Kooperationen spricht, die er auf der ganzen Welt eingegangen ist und die im Eingang des Herzzentrums mit einer Vielzahl von Schildern dokumentiert sind. „Wo hätten Sie’s denn gerne?“, fragt er humorvoll lächelnd, als genau dort ein Foto von ihm geschossen werden soll.

Ausgesprochen tiefgründig reagiert Hetzer, wenn es um die Frage geht: Darf man alles machen, was möglich ist? Oder: Was ist in der Medizin ethisch vertretbar? Da erinnert der Pionier der Herzchirurgie an einen anderen großen Mediziner, an Werner Forßmann. Der deutsche Chirurg, der erst 1956 gemeinsam mit André Frédéric Cournand und Dickinson Woodruff Richards mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet werden sollte, hatte sich 1929 in einem Selbstversuch einen Katheter ins Herz geschoben und gilt heute damit als Erfinder des Herzkatheters. Damals indes stieß Forßmanns Vorgehen auf heftigsten Widerspruch und wurde unter anderem von der deutschen Chirurgen-Legende Ferdinand Sauerbruch mit den Worten kommentiert: „Mit solchen Kunststücken habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik.“ Dass Forßmann später selbst energisch gegen Christiaan Barnard, der 1967 das erste Herz transplantierte, gewettert hat, zeigt dabei nur, wie schmal der Grat der ethischen Bewertung letztlich ist. „Man darf seiner Zeit nicht zu weit voraus sein“, lautet denn auch Hetzers Formel. Ohne gesellschaftliche Akzeptanz seien auch noch so revolutionäre und heilbringende Behandlungsmethoden nicht durchsetzbar: „Es muss halt in die Zeit passen.“ Hetzer selbst hat in seine Zeit gepasst und tut es nach wie vor. Für Berlin und die Herzmedizin ist nur zu hoffen, dass das auch noch lange so bleibt.

Von Detlef Untermann

 


 

52 - Herbst 2012