Erinnerungsspuren

Charmant, liebenswürdig und lebhaft ging es bei der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Roma und Sinti zu. Der vom Bildhauer und Land-Art-Künstler Dani Karavan geschaffene Gedenkplatz im Tiergarten war von Anbeginn an beides zugleich: ein Ort der Meditation, des Erinnerns oder Nachdenkens und der Begegnungen. Die Kreisform, die der israelische Künstler geschaffen hat, soll an das Zusammensitzen von Roma- oder Sintifamilien erinnern, wie er es selbst in Frankreich in der Nachkriegszeit erlebt hat. Rund um den stillen See, dessen Ufer bald von Rosensträußen bedeckt war, wurden Geschichten des Alltags hin- und hergereicht. Eine einfühlsame und von Feierlichkeit getragene Stimmung inklusive der Festreden von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kulturstaatsminister Bernd Neumann sowie Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, erfüllten den sonnig frischen Herbsttag, zu dem auch Fragen zur Lebensgegenwart der Roma in Südosteuropa gehörten.

Am 24. Oktober wurde das zentrale Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht. Das Denkmal, so hatte es der Bundestag vor zehn Jahren beschlossen, liegt zwischen dem Berliner Reichstag und dem Brandenburger Tor mitten im politischen Leben der Hauptstadt und dennoch an einem stillen Ort, umgeben von Hecken und Bäumen. Hier ist nun neben dem Holocaust-Mahnmal (2005), dem Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (2008) und der neu gestalteten Topographie des Terrors (2010) die „letzte Erinnerungslücke“ geschlossen worden. Erinnerung als Gruppenarbeit und die Hauptstadt als vielgestaltiger Denkmalsparcours, die Ästhetisierung der Geschichte – das gab viele Jahre Debattenstoff. Zweifelsfrei aber ist die Bedeutung dieses einprägsamen Ortes vor allem auch als ein Zufluchtspunkt für die Hinterbliebenen, deren Angehörige dem Massenmord zum Opfer fielen und für die es bislang keine sichtbare Anerkennung ihres persönlichen und his­torischen Leids gab. Der 1930 in Tel Aviv gebürtige Dani Karavan hat in seinem Künstlerleben weltweit zahlreiche Erinnerungsspuren gelegt und Räume mit wenigen für sich selbst sprechenden Strukturen neu beseelt. Hier hat er eine im Durchmesser zwölf Meter große kreisrunde Wasserfläche geschaffen, einen stillen See, dessen Grund eine Granitplatte bildet. Sie gibt dem gerade siebzehn Zentimeter tiefen Wasser Dunkelheit und eine Suggestion von Tiefe, in der sich ebenso das Reichstagsgebäude wie die Gesichter der Umstehenden spiegeln. Das Gedicht „Auschwitz“ von Santino Spinelli (Mitglied der International Romani Union) ist am Brunnenrand zu lesen. Inmitten des Kreises, dessen minimalistische, aber auch im Sinne von Gemeinschaftsverhalten symbolisch gedachte Geometrie durch die hellen Bruchsteine rundum landschaftlich aufgelöst wird, befindet sich ein Dreieck, das an das Tragen des Stigmas während der NS-Zeit erinnert. Die Bronzeskulptur kann sich absenken und wieder aufsteigen. Täglich wird eine frische Blume auf dem Dreieck abgelegt, eine Prozedur, die von einem Violinton begleitet wird. Geometrie, Landschaftlichkeit, Symbolik verschmelzen zu einem denkwürdigen Ort. Etwas entfernt stehen beschriftete Glaswände mit der Chronologie des Verbrechens. Es geht um die späte Anerkennung des „Porajmos“ (das Verschlingen), wie die massenhafte Vernichtung der Sinti und Roma bezeichnet wird. „Keine einzige Familie gibt es in Deutschland, die nicht unmittelbare Angehörige verloren hat“, erklärt Romani Rose in seiner Gedenkrede. Entgegen der Kriminalisierungstheorie, die sich bis hinein in die Siebziger aufrechterhielt und die den Roma und Sinti Wiedergutmachung und eine angemessene Würdigung ihrer Opfer verwehrte, ist der „vergessene Holocaust“, die rein rassisch bedingte Verfolgung und Vernichtung von 500 000 Roma und Sinti aus Europa während der NS-Zeit umfassend historisch dokumentiert. Mit dem Auschwitz-Erlass Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 wird die Deportation aller innerhalb des Deutschen Reichs lebenden Sinti und Roma in die Vernichtungslager angeordnet. Existenzberaubung ist, das versteht man einmal mehr, kein Urknall, sondern hat eine zumeist lange und subtile Vorgeschichte, die mit Verarmung, kultureller Fantasielosigkeit, Stigmatisierung, mit ideologisierter Wissenschaft ebenso wie mit Massenbeeinflussung einhergeht. Dieser (Ab-)Wertungsprozess – inklusive seiner  Sprachformeln – wurde im Falle der NS-Zeit durch rassenhygienische Untersuchungen vorbereitet und gestützt und mit etlichen Gesetzen vorangetrieben. „Wir wurden identifiziert, registriert, aussortiert“, sagt Zoni Weisz, der als Überlebender aus den Niederlanden angereist kam.
1938 wurde im Reichskriminalpolizeiamt eine „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ eingerichtet. Das Reglement hatte sich aus dem „Wesen dieser Rasse heraus“ zu erklären. Sammellager und Zwangsarbeit folgten und waren erste Maßnahmen, bevor am 16. Mai 1940 die „organisierte familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Gebiet des Deutschen Reiches“ begann.

Berlin sollte bereits zu den Olympischen Spielen 1936 „zigeunerfrei“ sein. Dafür wurde das Sammellager in Marzahn errichtet. Bürgermeister Klaus Wowereit: „Die Vielfalt der Millionenstadt Berlin wurde gewaltsam zerstört.“

Anita Wünschmann

 

53 - Winter 2012/13
Stadt