Alles so gewollt

Eine Handvoll Modemacher schneidert aus getragenen Kleidern Kreationen mit Charakter.

Das Leben hinterlässt Spuren. Am Ende gleicht ein abgelegter Malerkittel samt Kleckserei einem Kunstwerk. Eine viel getragene Schweißermontur mit Brandlöchern ist fantastisches Dessin. Genau wie die feuerwehrroten Hosen und Jacken der Heizungsmonteure und die Blaumänner der Schlosser mit den eingerissenen Dreiangeln. Daniel Kroh denkt, das muss ich retten. Er liebt die Spuren der Arbeit im Textilen und macht daraus sein eigenes Design: Mode für Frauen und Männer.

Katrin Sundmäker, die Bielefelderin, hat an der Fachhochschule ihrer Heimatstadt Modedesign studiert und produziert dort seit ein paar Jahren eine sehr eigenwillige Damenkollektion. Alte und manchmal auch getragene Bundeswehrparkas, Lederjacken mit Lebensspuren und ausrangierte Herrenhemden zerlegt sie in ihre Einzelteile und fügt sie mit neuem Jersey oder dicken alpenländischen Walkstoffen zu neuen Kleidern, Mänteln, Jacken, Röcken oder Hosen.

Daniel Kroh findet sein Material bei einer Firma, die Arbeitskleider vermietet. Nach spätestens dreißig Waschgängen wird dort aussortiert und alles landet im Container. Herrlich! Denkt Kroh, und sucht sich die schönsten Teile aus. Manchmal findet er sogar eine Hose oder eine Jacke, die die Arbeiter selbst repariert haben, mit Schrauben, Draht oder einfach nur getackert. „Das hat für mich Humor.“ Katrin Sundmäker kauft in einem Kleidersortierbetrieb wie auch die Schwarzwälderin Christine Mayer, die ihr Atelier und ihr Geschäft in Berlin hat.

Unter ihren Jacketts sieht man alte Rolltücher mit roten Streifen blitzen, die Spitzen antiker Bettwäsche zusammen mit betagter Baumwolle ergeben eine blütenweiße Sommerkollektion. Aus Parkas werden Hosen und, kombiniert mit alten Kreuzstichtischdecken, ganz neue Jacken. Klassische blaue und schwarze Männer-Anzugwesten zerschneidet sie und setzt sie patchworkartig wieder zusammen. Manche ihrer Stücke erinnern von ferne an englische Damenmode der Jahrhundertwende.

Daniel Kroh ist studierter Modesdesigner und am Hamburger Thalia-Theater ausgebildeter Herrenschneider. Katrin Sundmäker machte ebenfalls zum Modedesignstudium noch eine Schneiderlehre, und Christine May­er, die Modedesignerin, arbeitet lange als Kostümbildnerin. Jede(r) hat seinen ganz eigenwilligen Stil. Das Skulpturenhafte eint sie. Die wieder verwendeten festen Stoffe mussten ja als Arbeitskleidung einiges aushalten. In Einheit mit neuen konträren Materialien verbinden sie sich zu kleinen festen Rüstungen, die der Trägerin Stand geben.

Alle drei sind Meister der Verarbeitung. Jedes Teil ein Unikat. Ihre Kleider erfordern Charakter, denn man schlüpft in kein Label, das jeder kennt und schwimmt so mal grün mal violett im Strom unbehelligt durch die Saison. Immer steckt eine Idee, manchmal vielleicht sogar eine Philosophie dahinter, den alten Stoffen eine neue Zukunft einzuhauchen. Daniel Kroh ist froh, die ausrangierten Kleider weiterentwickeln zu können, um sich damit gleichzeitig ein wenig von der Wegwerfgesellschaft zu distanzieren. Wider den textilen Massenkonsum. Her mit dem Einzigartigen. Er verbeugt sich vor den Arbeitern und ihrer Geschichte und gibt seiner Individualität ständig neuen Ausdruck.

Katrin Sundmäker, deren Kollektion nicht mehr als siebzehn Teile hat, ließ sich schon als Sechzehnjährige ihre modischen Extravorstellungen von einer nähenden Nachbarin verwirklichen. „Ich wollte irgendwie auffallen, etwas Besonderes sein.“ Schon damals trug sie am liebsten alte Mäntel vom Pariser Flohmarkt und Tweedhosen im New-Romantic-Look mit spitzen Schuhen. Katrin Sundmäher versucht, sich immer bewusst zu sein, was sie so konsumiert. „Es gibt doch alles!“ Deshalb stellt sie mit Altem gern neue Zusammenhänge her. „Manche Sachen sind abgewetzt und sehen gerade darum toll aus.“ Auch Schäden findet sie interessant, ob es nun Dreiangel oder Verfärbungen sind.

Kleider mit Geschichte haben Charakter. Sie erfordern charakterfeste Frauen. Darum sind Katrin Sundmäkers Kundinnen auch nicht immer jung. Das ist bei Christine Mayer nicht anders. Dieses Feste der Kreationen gibt ihnen Schutz und Sicherheit und setzt ein Statement: Seht her, ich bin einmalig! Christine Mayers Entwürfe fließen in ihre sogenannte Peace Collection. Das meint sie auch so. Und tatsächlich, mit ihren handgefertigten Kleidungsstücken möchte die Modemacherin „Kraft und Stärke vermitteln, über die eigenen Grenzen ­hinauszutreten und Konventionen aufzubrechen.“ Her mit den selbstbewussten Frauen.

Inge Ahrens

 

 

53 - Winter 2012/13