Im Spiegel europäischer Kultur

In diesem Jahr feiert die Königliche Porzellan-Manufaktur – kurz KPM – ihr 250-jähriges Jubiläum. Friedrich der Große erwarb am 19. September 1763 die vom Kaufmann Johann E. Gotzkowsky 1761 bis 1763 geführte Fabrique de Porcelaine de Berlin und benannte sie um. Das Weiße Gold mit dem kobaltblauen Zepter schmückte das Leben der Adelshäuser und diente diplomatischen Aufwartungen. Glanzvolle Zeiten und wechselvoller wirtschaftlicher Erfolg gehörten zum Werdegang der Preußischen Firma ebenso wie ihr grandioser Formenschatz Porzellangeschichte schrieb.

Zum Geburtstag gibt es eine Reminiszenz an das berühmte klassizistisch geprägte Kurlandservice. Die Dekorfarbe Schwarz gilt den Entwicklern als „Königin der Farben“. Vielleicht, wie es Pierre Soulages vermalt hat – Schwarz, um darin die Vielfalt des Lichts sichtbar zu machen. Das Kurland-Dunkel ist matt und wird von Goldgirlanden zum Leuchten gebracht. Auch sein Pendant in Weiß spielt mit Licht und Monochromie. Es zeigt sich in einem schönen Wechselspiel von glänzender Glasur und einem Rand aus Bisquitporzellan.

Ganz im Gegensatz zur noblen Distinguiertheit des Jubiläumsservice verbinden Besucher KPM zuerst mit Blumendekoren in Maniermalerei und mit „hingestupfter“ üppiger Farbigkeit auf Tellerspiegeln und -rändern, mit jenem Hauch Frühling, der mal prachtvoll, gelegentlich auch etwas süßlich wirkt. Andere wiederum erinnern sich sofort an die elegant-strengen Linien, die mit dem aufkommenden Klassizismus mit seiner Verneigung vor der Antike und eben jenem Service „Kurland“ (seit 1790) in die Manufaktur Einzug hielten und bis heute das klassizistisch geprägte Œuvre wesentlich bestimmen. Oder die Liebe gilt Zylinderkannen und Kugelvasen und den geometrischen Formen der Moderne. Trude Petri hat in dieser Weise jahrzehntelang die Firmensprache der Manufaktur geprägt, bis die nächste Generation den Stab, nein den Pinsel, übernahm und schließlich mit den bemalten Spindelvasen vom italienischen Designer Enzo Mari in den frühen Neunzigern eine poetische Postmoderne ihren Höhepunkt fand.

Nicht allein die Qualität des Kaolins und die Glasurexperimente der Arkanisten, so heißen die Chemiker des Weißen Goldes, sorgen für perfekt schimmernde Schönheit und Weltruhm, sondern vor allem die Maler, Designer, Architekten und Bildhauer beförderten den Ruf des Porzellans von der Spree.
Noch einmal Klassizismus! Es war kein Geringerer als der Architekt Karl Friedrich Schinkel, der stilprägend wirkte und neben Services, Medaillen, Büsten auch prominente Einzelstücke wie einen geflochtenen Zuckerkorb (1810) für die Manufaktur entwickelte. Der „Antike Zuckerkorb“ wurde mit einer reichen Goldgravur und einem farbig gestalteten Einsatz im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. gestaltet. Das schmuckvolle Gefäß gehörte zur Hochzeitsausstattung von Tochter Charlotte, der späteren russischen Zarin Alexandra Feodorowna. Fast noch berühmter ist die vielfach kopierte Trompetenvase in ihrer schlichten aufstrebend-ausschwingenden Linien­führung. Abgesehen von diesen Kleinodien hinterließ der große Baumeister nach seinem Tod 1841 der Manufaktur einen Schatz an Musterbüchern und Entwürfen, die sich noch heute im Archiv befinden. Nicht allein Schinkel, sondern Berliner Bildhauergrößen wie Johann Gottfried Schadow (Prinzessinnengruppe) oder sein Schüler Christian Daniel Rauch (Tierfiguren) entwarfen im späten 18. und 19. Jahrhundert für die Manufaktur.

Zu Zeiten Friedrich II. begann Friedrich Elias Meyer (1723–1783) mit seinen Blumenbouquets aus locker hingetupftem Gelb, Rosa, Orange die hochherrschaftlichen Gemüter zu bezaubern. Friedrich Elias Meyer ging von Sachsen her der Ruf herausragender Begabung voraus. So wurde er dringlich nach Berlin berufen, opulente Speiseservices für Friedrich den Großen zu kreieren. Das Speisen von Porzellan war gerade in Mode gekommen und so ließ der Preußenkönig 12 Tafel- und Kaffeeservices für seine Schlösser in Berlin, Potsdam und Breslau (heute Wrocław) in Auftrag geben. Sein Lieblingsmodell trug den Namen „Neuzierat“ in den Varianten Relief- und Antikzierat und wurde anspielungsvoll in diversen Farbtönen geordert. Der feine Scherben, die geschwungene Kontur und nicht zuletzt die prachtvollen Dekore mit blau geschupptem oder gelb gestupftem Tellerrand, dem sogenannten Fächer (besonders schön das erste Potsdamer in Mintgrün), angeschmückt weiterhin mit Goldranken und eben jener farbenfrohen Blumenmalerei ließen den abgeworbenen Meißner Porzellankünstler Meyer in Preußen zu höchster Anerkennung kommen. Noch von Friedrich Elias Meyer mitgedacht, aber erst ein Jahr nach seinem Tod realisierte KPM einen königlichen Herzenswunsch mit „Bleu mourant“, das mit seinem zarten Blauton – einer verblichenen Wegwarte ähnlich – sprichworttauglich wurde: „Oh je, mir wird ganz blümerant!“, sagte man, fächelte sich noch etwas Luft zu, ehe man effektvoll zu Boden ging.
KPM hatte in Barocküppigkeit und Rokokospielerei geschwelgt, durchlebte einen feierlichen Klassizismus, wurde mit Figurinen, Vedutenmalerei, mit Amphorenvasen und reich bebilderten Dejeuners weltberühmt. Etwas salopp könnte man sagen, nach Rankwerk und Rocaille kam Theodor Schmuz Baudiss mit frischen Ideen und wurde künstlerischer Direktor. Der in Sachen Porzellan schon in Thüringen Erfolgreiche prägte wie kein anderer den Jugendstil der Manufaktur. Er krempelte die Porzellanästhetik mit der Einsicht um, „dass zügellose Formfreiheit und wild wucherndes Ornament nicht Kunst sind“. „Porzellan könne sich nicht im Ausdruck des Zierlichen und Zerbrechlichen erschöpfen“, wird sein Credo der Erneuerung beschrieben (Bröhan-Museum). Neben den unter Sammlern geschätzten bemalten Vasen bzw. einer legendären schmalen reinweißen Unberührtheit entwarf der Porzellanprofessor 1912 das Tafel- und Kaffeeservice „Ceres“. 40 Formen in Weiß und Gold. Füllhornschmuck und Ehrenkränze verweisen auch auf ein Jubiläum – das 150-jährige Bestehen der Manufaktur im Jahre 1913. Obwohl Spätjugendstil und Gründerzeit hier bereits miteinander kokettieren, gilt es noch heute als eines der schönsten Services.

Die Moderne kam mit reduzierter Form, Materialzweckmäßigkeit, vor allem mit der Idee von serieller Funktionalität mit Künstlern wie Luise Charlotte Koch, Sigrid von Unruh – und der Bauhauskünstlerin Marguerite Friedländer. Sie war von 1925 bis 1933 Leiterin der Keramikabteilung der Staatlichen Kunstschule „Burg Giebichenstein“ in Halle. Hier entwickelte sie ihr „Hallesches Service“, welches noch heute von der KPM in Berlin hergestellt wird.

 Marguerite Friedländer musste als Jüdin und Bauhausdesig­nerin mit Beginn der NS-Zeit 1933 Deutschland verlassen. Sie emigrierte in die Niederlande und unter dem Druck der deutschen Besatzung nach Kalifornien. Ihr puristisches Mokkaservice wie die „Hallesche Vase“ in Weißporzellan sind von KPM 2009 wieder aufgelegt worden. Ebenfalls von den Ideen der Moderne, vor allem vom Werkbund, geprägt war die Hamburgerin Trude Petri (1906–1998). Die Tochter eines Pelzhändlers gilt als eine „Pionierin moderner Porzellangestaltung“. Schon ab 1929 arbeitete sie als Gestalterin für KPM (damals staatliche Porzellanmanufaktur). Von ihr stammt das 1931 entwickelte, konsequent geformte Service „Urbino“, das allein ob seiner höchst widersprüchlichen Ideen-, Auftrags-, und Würdigungsgeschichte spannend ist. Es wurde 1936 mit einer Goldmedaille bei der VI. Triennale di Milano und ein Jahr später mit einem Grand Prix in Paris ausgezeichnet, was den NS-Eliten als kulturelles Aushängeschild willkommen war. Es gehört zur Sammlung des MoMA und stand bei Hermann Göring im Neuen Palais auf der Tafel. Es verschönert mit seinen Kreisformen den Alltag bis heute. Trude Petri brachte bis in die Sechziger eine erstaunliche Formenvielfalt für KPM hervor, lebte aber nach dem Krieg bereits in den USA. In der KPM-Welt am Tiergarten kann man die Stilentwicklungen durch die Zeiten hinweg abgucken und wird noch weit mehr interessante Entdeckungen machen. Wie etwa das von Enzo Mari entwickelte Porzellanservice „Berlin“ mit seinen ovalen Hängeohrenhenkeln, das 1996 mit einem Design-Award prämiert wurde.

Anita Wünschmann

 

54 - Frühjahr 2013