Neuköllns berühmter Bürgermeister

Kennen Sie Ihren Bezirksbürgermeister? Mit hoher Wahrscheinlichkeit müssen Sie passen. Den Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky aber kennt fast jeder in Deutschland. Ein Besuch bei einem Politiker, der es in die Talkshows und auf die Bestsellerliste geschafft hat und der doch seinem Heimatbezirk Neukölln treu geblieben ist.

Eine Viertelstunde lässt Heinz Buschkowsky seinen Besucher warten. Aber dafür muss man Verständnis haben – schließlich hat Buschkowsky nicht nur seinen 315 000 Einwohner zählenden Bezirk zu regieren, sondern ist auch ein veritabler Politstar: Er ist gern gesehener Gast in den Talkshows der Republik, regelmäßiger Kolumnist der Bild-Zeitung und mit seinem Buch „Neukölln ist überall“ auch noch Monate nach Erscheinen auf den Bestsellerlisten zu finden.

Dann aber kommt Buschkowsky, das Handy am Ohr, von einem Termin zurück, bittet den Gast in sein geräumiges Bürgermeisterbüro und ist sofort ganz auf das Gespräch konzentriert. Gewiss, dass es nicht das erste Interview ist, das der Politiker in den letzten Monaten gegeben hat, kann er nicht verhehlen: Die Antworten kommen routiniert, und manchmal verweist er auf eine Aussage von sich in einem früheren Interview. Trotzdem wird deutlich, warum Buschkowsky bei vielen Menschen so gut ankommt: Er spricht anschaulich, bringt Dinge auf den Punkt und hat keine Scheu vor der Kontroverse. „Wer nur nach Harmonie strebt, sollte in einen Gesangsverein gehen und nicht in die Politik“ – so lautet eines seiner Bonmots.

Die Defizite der Integration sind Buschkowskys großes Thema. In seinem Bestseller erzählt er von Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, aber kein Wort deutsch sprechen; von Familien mit Migrationshintergrund, in denen niemand einer geregelten Arbeit nachgeht und in denen die Kinder als Berufswunsch „Hartz IV“ angeben; und von arabischen und türkischen Parallelstrukturen, die sich dem deutschen Rechtsstaat entziehen.
Buschkowsky also, wie ihm gelegentlich vorgeworfen wird, ein Rassist? Diesen Vorwurf weist er entschieden zurück. Und wer ihm zuhört und sein Buch liest, muss ihm rechtgeben. Im Kern nämlich geht es dem 64-jährigen SPD-Mann darum, dass Menschen – egal welcher Herkunft – die Chancen nutzen, die sich ihnen bieten. „Es ist auch heute noch meine Meinung, dass ein Mensch für sein Leben zuallererst selbst verantwortlich ist“, sagt er. „Den Staat dafür verantwortlich zu machen, warum es zum Beispiel mit dem eigenen Schulabschluss oder dem der Kinder nicht geklappt hat, ist nicht meine Welt.“

Um diese Sätze einordnen zu können, muss man auf Buschkowskys Biographie blicken. „Nach den althergebrachten Ritualen hätte ein Sohn aus dem Stand meiner Eltern niemals das Amt des Bezirksbürgermeisters erlangen können“, sagt er. „Niemals.“ Tatsächlich stammt der 1948 geborene Politiker aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Vier Personen teilten sich eine Neuköllner Souterrain-Wohnung mit Wohnküche und Schlafzimmer, als Zentrum das Radio, um das sich abends die Familie versammelte. Unglücklich aber war der junge Heinz nicht: „Es war eine schöne Zeit damals, und ich erinnere mich gern an meine Jugend.“ Prägend waren für ihn die Werte seiner Eltern. „Sie wollten, dass es meinem Bruder und mir einmal besser gehen würde als ihnen. Der Lieblingsspruch meines Vaters war: Junge, wenn du was haben willst, musst du dafür arbeiten.“ Daran hielt sich Heinz. Von Kindheit an verdiente er sich sein Geld selbst: als Erntehelfer, Zeitungsjunge, Stadtführer. Und so konnte er sich mit 18 seinen „Kugelporsche“ leisten, mit dem er fortan Ausflüge nach Skandinavien unternahm.

Angesichts dieses Glaubens an die Kraft des Individuums könnte man den Politiker für einen verkappten Liberalen halten. Doch da widerspricht er – seit 1973 Mitglied der SPD, seit 2001 Neuköllner Bezirksbürgermeister – ene­rgisch: „Es ist das Wesen der Sozialdemokratie, Menschen zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist lebensnahe Sozialdemokratie, auch wenn das heute abfällig als rechter Flügel bezeichnet wird.“ In der Tat war das Verhältnis Buschkowskys zu seiner Partei lange angespannt. Seit ihn aber die SPD 2010 mit dem Gustav-Heinemann-Preis auszeichnete, hat sich das geändert. Mit Raed Saleh, dem Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, verbindet ihn nach eigenen Worten ein „ausgesprochen nettes, ja fast freundschaftliches Verhältnis“, und den Umgang mit Landesparteichef Jan Stöß bezeichnet er als „entspannt“.

Sehr viel weniger freundlich äußert er sich über die „Seminaristen“, die sich „eine Ideologie basteln“, und die „Sozialromantiker“, die seiner Ansicht nach der „Fantasie“ verfallen sind, Integration vollziehe sich von selbst. Ja, er spitze Thesen gern zu, räumt Buschkowsky ein. „Wenn Sie in einer Mediengesellschaft gehört werden wollen, müssen Sie hin und wieder den Komment verletzen und zu Grenzüberschreitungen bereit sein.“ Aber warum stellt er immer nur die gescheiterten Fälle von Integration heraus? „Um den arabischen oder türkischen Abiturienten mit Note 1,0 muss ich mir keine Sorgen machen“, antwortet er. „Ich mache mir Sorgen um die Kinder, die aus Familien kommen, in denen nicht einmal die Umgangssprache des Landes gesprochen wird. Für sie fordere ich Kindergartenpflicht, verbindliche Vorschulerziehung und Ganztagsschulen.“

Doch verkennt er dabei nicht die Entwicklung im nördlichen Neukölln, in dem derzeit die Wohnungsmieten und -preise in die Höhe schnellen und das für junge Menschen aus aller Welt zu einem begehrten Wohnort geworden ist? Gewiss, in einem klar abgegrenzten Gebiet habe sich „eine kleine Bohème“ angesiedelt, räumt er ein. Aber „daraus abzuleiten, ganz Neukölln werde auf den Kopf gestellt und gentrifiziert, entspricht nicht dem normalen Alltag“. Die meisten Zuzügler seien nach zwei oder drei Jahren ohnehin wieder weg. Trotzdem hoffe er, dass sie „Quartiermacher“ seien und dazu beitrügen, dass es in den Schulklassen wieder eine soziale Mischung gebe.

Im Übrigen habe der Bezirk viel für die Integration gemacht: Den Campus Rütli, das Albert-Schweitzer-Gymnasium und die Stadtteilmütter nennt Heinz Buschkowsky als Beispiele für die erfolgreiche bezirkliche Integrationspolitik. Und diese Politik will er fortführen: Obwohl er in diesem Jahr 65 wird, hat er sich entschieden, sein Amt bis zum Ende der Legislaturperiode 2016 auszuüben.

Emil Schweizer

Information
Buchhinweis
Heinz Buschkowsky: Neukölln ist
überall. Ullstein Verlag. 397 Seiten,
19,99 Euro.

54 - Frühjahr 2013