Bodenständig tough

Die Füchse-Handballerinnen aus Berlin streben im Sog der Männer des Vereins langsam in die nationale Spitze.

Das Spiel interessiert ihn nicht so sehr. Pepe fiebert der Halbzeit entgegen. Dann darf der Zweijährige auf das Parkett der Halle und unter Aufsicht des Papas ein paar Bälle auf das Tor werfen, besser gesagt rollen. Denn so toll wie seine Mama kann der Kleine das noch nicht. „Aber er macht sich doch schon ganz gut, oder?“ Sandra Woycieszack streichelt ihrem Sohn liebevoll über den blonden Schopf. Doch der Junge hat schon den nächsten Ball im Visier und weiß, dass er bald wieder an den Rand der Spielfläche verbannt wird, weil die zweite Spielhälfte beginnt und Mama wieder zur Mannschaft gehört. Nicht nur das Bild der Pause zeigt, dass es bei den Handball-Frauen der Füchse Berlin familiärer zugeht als bei den Männern. Und trotzdem hält sich in der Hauptstadt hartnäckig die Behauptung, dass die in der zweiten Bundesliga beheimateten Frauen im gut behüteten Windschatten des Profiteams der Männer Richtung Erstklassigkeit segeln. „Natürlich gehören wir zu einem Verein, aber dass wir von den Brosamen der Männer leben, stimmt überhaupt nicht“, stellt Britta Lorenz klar. Die 46-jährige ehemalige Erstligaspielerin aus dem hohen Norden der Republik arbeitet schon lange Zeit in Berlin und hat sich seit drei Jahren den Füchse-Frauen als Managerin vorgespannt.

„Zu Britta habe ich volles Vertrauen. Was sie macht, hat Hand und Fuß“, sagt Bob Hanning. Der Geschäftsführer des Männer-Bundesligisten und Abteilungsleiter der Füchse-Handballer ist in dieser Funktion auch für die Frauen mitverantwortlich. Die gleiche Einlaufmusik wie bei den Männern, nur ohne aufwändige Videotechnik und Feuerwerk, das gleiche Fuchs-Maskottchen als Anheizer zeigen Parallelen. „Wir unterstützen die Frauen, wo wir können. Aber die Arbeit macht Britta hundertprozentig alleine, das haben wir konsequent getrennt“, stellt Berlins „Mister Handball“ klar, obwohl seine Abteilung letztendlich auch das finanzielle Risiko des Zweitligisten tragen muss. Das ist auch der wichtigste Punkt, an dem Britta Lorenz unermüdlich bastelt. Bei einem derzeitigen Etat im tiefen sechsstelligen Bereich ist schon rein wirtschaftlich nicht an den Sprung ins Oberhaus zu denken. Sportlich hat die Mannschaft Perspektive – „keine Frage“, ist Dietmar Rösicke von seinem Kader überzeugt. „Menschlich muss es passen“, war auch das beiderseitige Credo, den Meistercoach des Frankfurter Handball-Clubs aus dem Jahr 2004 an die Spree zu locken. Weil der 53-Jährige als Angestellter eines Klinikums in Kyritz nicht aufs Finanzielle angewiesen ist, kann die Harmonie nicht durch wirtschaftliche Zwänge gestört werden.

„Dietmar ist der ideale Trainer für uns“, schwärmt Lorenz. „Er hat durch seine riesige Erfahrung den Weitblick, vor allem den Draufblick“, schildert sie. Das soll heißen, dass Grüppchenbildung und kleine Nicklichkeiten, die vor zwei Jahren trotz sportlich ausgezeichnetem Kader zum Abstieg aus der Zweitklassigkeit führten, unter Rösicke ausgeschlossen sind. „Wir müssen uns punktuell noch verstärken, dann sind wir sportlich zum Sprung nach oben bereit“, erklärt Rösicke, der den vor der Saison aufgestellten Fünfjahresplan auf dem Weg in die Erstklassigkeit voll mitträgt. Für den Rahmen ist Britta Lorenz zuständig. Da sie als Marketing-Chefin der Cinemaxx-Kinos auch außerhalb der Berliner Wirtschaft gut vernetzt ist, kann sie ihre Beziehungen zugunsten des Sports spielen lassen. Dass der „Kampfname“ Spreefüxxe auf
ihr Engagement und die Verknüpfung mit ihrem Arbeitgeber zurückzuführen ist, stimmt aber nicht. Das ist vor längerer Zeit entstanden. „So richtig erinnert sich keiner mehr daran, aber mit Cinemaxx hat das nichts zu tun“, streitet die 46-Jährige ab. Ihr kommt es auch nicht darauf an, die Verantwortung in die Hände eines Hauptsponsors zu legen. Das ist im deutschen Frauenhandball zu oft schiefgegangen. Zwei größere Partner-Unternehmen und drei oder vier Dutzend kleinere Sponsoren weist die Internetseite der Frauenmannschaft aus. Es ist in Berlin gar nicht möglich, ein Unternehmen als Alleinunterhalter für den Frauenhandball zu begeistern. „Das will eine große Medienpräsenz“, weiß Britta Lorenz. Und die ist in der Hauptstadt sportlich durch die erfolgreichen Handball-Männer des Vereins, die Basketballer von Alba, Eishockey-Meister Eisbären, Volleyball-Champion Berlin Volleys sowie die Fußball-Zweitligisten Hertha BSC und 1. FC Union abgeschöpft. So puzzelt die Managerin aus vielen Kleinteilen einen wachsenden Finanz-Pool zusammen. Mühsam, aber mehr und mehr erfolgreich. Diese Strategie passt auch besser zum Credo: Menschlich muss es passen. „Wir sind eine echt coole Truppe“, legt Alexandra Swiridenko fest. Die Tochter des weißrussischen Trainers Georgi Swiridenko, mit der Sowjetunion 1988 in Seoul Olympiasieger, hat das Handball-Blut geerbt und gilt als beste Spielerin in Berlin. Zudem ist die gerade 24 Jahre alt gewordene Rückraumakteurin bei einigen Bundesliga-Partien ungewollt für Prominenten-Besuch auf der Tribüne der Charlottenburger Sporthalle verantwortlich. Wenn es zeitlich passt, schaut ihr Freund Patrick Hausding zu, olympischer Medaillengewinner im Wasserspringen. Der sitzt neben ihrer Freundin Julia Fischer, die in London um Medaillen in der Leichtathletik stritt und ihren Partner Robert Harting gleich mitbringt. Der Olympiasieger und Weltmeister im Diskuswerfen kommt dann um zahlreich Autogramme nicht herum. Von der kleinen Aufwandsentschädigung durch den Handball kann keine Spreefüxxin leben. Alle sind Studentinnen, wenige haben ihre Ausbildung abgeschlossen. So wie Sandra Woycieszack, deren Mann Lars Melzer als Bundesliga-Handballer beim VfL Potsdam ihr sportliches Hobby verständlicherweise mitträgt. „Stressig ist das schon“, gibt die 28-Jährige zu. In Berlin-Zehlendorf betreibt sie als Sprachtherapeutin eine eigene Praxis. Manchmal schafft sie es nicht zum Training, dann muss die Routine herhalten. Aber noch kann die Regisseurin des Teams vom Handball nicht lassen. Das menschliche Innenleben, das sich bei den Füchsen Berlin entwickelt hat, lässt sie nicht los. Und so lange wird Pepe in der Halbzeit der Bundesligaspiele seine Bälle Richtung Tor rollen dürfen.

Von Hans-Christian Moritz

 

54 - Frühjahr 2013
Sport