Der Schinkelplatz

Was wäre eine Stadt ohne ihre Plätze? Manche sind groß, manche klein. Manche berühmt, manche unbekannt. Sie sind quirlige Touristenattraktionen oder lauschige Rückzugsorte für die Stadtbewohner. Plätze in der Stadt haben ihre Geschichte und kleinen Geheimnisse, die es zu ergründen lohnt. Diesmal: Der Schinkelplatz.

Es gibt Plätze, die begeistern durch ihre eigene Schönheit, das Drumherum ist zweitrangig, sie brauchen es nicht zwingend, um zu zeigen, wer sie sind. Der Gendarmenmarkt mit seinen zwei Domen und dem Schauspielhaus ist so ein Platz, dessen majestätischem Auftritt die profane Architektur an den Rändern wenig anhaben kann.
 
Ein paar hundert Meter weiter östlich liegt der Schinkelplatz, da ist es genau umgekehrt. Der Platz ist klein und trotz der drei historischen Denkmäler, dem Springbrunnen (leider zu dieser Jahreszeit außer Betrieb) und der riesigen halbrunden Granitbank, auf der es sich gerade ein paar Chinesen für einen Lunch bequem gemacht haben, eher unscheinbar. Fast könnte man seine Schönheiten übersehen angesichts seiner prominenten Nachbarn vorn und hinten und links und rechts. Im Osten das gewaltige, rekonstruierte Stadtschloss, nur durch einen Spreearm und demnächst noch durch eine die deutsche Einheit symbolisierende Wippe, vom Schinkelplatz getrennt. Im Westen die Friedrichswerdersche Kirche, der berühmte Schinkelbau, leider vom Platz aus durch ein paar hingebaute superteure Wohnhäuser nicht mehr sichtbar, und im Norden die Neue Kommandantur. Ein bisschen weiter weg die Museumsinsel mit Lustgarten und Altem Museum und der Berliner Dom, auf die man vom Platz aus einen postkarten-idyllischen Blick hat.
Fast wirkt er in diesem Ensemble wie eine Aussichtsplattform: Kommt her, sagt sie uns, schaut euch um und ruht euch aus von den atemberaubenden Blicken! Das biete ich euch, das ist mein Patz in der historischen Mitte.

Der bronzene Schinkel steht mittendrin, den Blick gerichtet auf das Alte Museum, das er entwarf, die rechte Hand hält einen Zeichenstift, die linke einen Zeichenblock mit dem Grundriss des Museums. Nur der Süden in seinem Rücken, der so viel mit seiner Arbeit zu tun hatte, ist noch unfertig, wie ein Stück fehlender Rahmen, herausgebrochen aus dem Gesamtkunstwerk und noch nicht wieder ersetzt. Dort stand Schinkels Bauakademie, eines seiner Meisterwerke, der bedeutendste profane Ziegelbau Preußens, der richtungsweisend für die moderne Architektur war. Zwischen 1832 und 1836 ließ Schinkel sie erbauen, er selbst lebte dort in einer großzügigen Dienstwohnung im zweiten Stock und arbeitete in der Akademie bis zu seinem Tod 1841 mit gerade einmal 60 Jahren. Erst drei Jahre zuvor war er offiziell zum Oberlandesbaudirektor berufen worden, ein Amt, das er bereits seit vielen Jahren ausfüllte.
 
1837 wurde der dreieckige Platz nach Plänen von Peter Joseph Lenné angelegt, da hieß er noch „Platz an der Bauakademie“. Erst 1869 wurde er nach Schinkel benannt. Drei Denkmäler wurden aufgestellt, von: Schinkel, Albrecht Daniel Thaer, Begründer der modernen Landwirtschaftslehre in Preußen, und Peter Christian Wilhelm Beuth, hoher Staatsbeamter und Förderer des Übergangs vom Manufakturwesen zur industriellen Fertigung. Mit Beuth war Schinkel 1827 nach England gereist, sie besuchten auch Manchester, um die neueste Architektur der dort entstehenden und in Preußen noch unbekannten Fabriken kennenzulernen. Voller Begeisterung schrieb Schinkel an seine Frau Susanne über die lodernden Feuer und qualmenden Schlote. Immerhin, mit den drei Denkmälern hatte auch Preußen sein Novum. Der Bildhauer Christian Daniel Rauch sprach damals von den „ersten Helden auf öffentlichem Platze ohne Degen“.
 
Eine Bombe im Zweiten Weltkrieg warf die Schinkel-Statue vom Sockel und zerstörte den Platz, eine andere traf Schinkels Bauakademie, sie brannte aus und die Decken barsten. Aber die eisenbewehrten Fassaden hielten und zunächst sah es so aus, als würde die DDR-Regierung sie wieder aufbauen lassen. Am Ende entschied sie sich für Abriss und baute auf das historische Areal ein neumodisches Gebäude für ihr Außenministerium, das wiederum nach der Wende der Abrissbirne zum Opfer fiel. Übrig blieb von der Bauakademie am Ende neben ein paar Resten der ursprünglichen Terrakotta-Schmuckelemente nur eine der eisernen Originaltüren, die man ein paar Meter weiter an der Schinkelklause vom Kronprinzenpalais einsetzte und noch heute dort besichtigen kann.
 
Der Schinkelplatz erstrahlt nach der originalgetreuen Rekonstruktion wieder in alter Schönheit, und seit 2000 ist auch die Bauakademie, zumindest visuell, wieder in unser Bewusstsein gerückt. Zunächst wurde eine Ecke des Bauwerks wieder aufgemauert, vier Jahre später folgte der Gerüstbau in Originalgröße mit der bedruckten Plastikfolie, der uns erahnen lässt, wie es hier einmal aussah. Das Gerüst ist inzwischen abgebaut, Denkmalpfleger haben ein Stück Fundament freigelegt und Reste der Reliefs aus dem Schutt geborgen. Ein Bauzaun informiert über den Stand der Dinge. Und es sieht wohl ganz gut aus mit dem Wiederaufbau. Die Millionen sind bewilligt, ein Gründungsdirektor ist nach einigem Hickhack gefunden und arbeitet schon. Noch ist die Frage nicht geklärt, wie der Bau einmal aussehen wird. „So viel Schinkel wie möglich“, gilt als Leitlinie. Aber was bedeutet das bei einem Mann, dessen Leitspruch es war, überall sei „man nur da wahrhaftig lebendig, wo man Neues schafft“?
 
Und wie füllt man solch einen ambitionierten Bau mit Leben? Soll es eine ambitionierte Kulturinstitution werden, in der Geschichte und Zukunft von Architektur und Stadtgestaltung behandelt werden? Oder eher ein repräsentatives Forum für Handwerk und Bauindustrie? Was würde wohl Schinkel raten? Nach seinem Tod wurden Teile der Bauakademie zu einem Museum über sein Leben und Werk. Das soll es wohl nicht wieder geben.

Thomas Leinkauf

 

87 - Winter 2021/22