Region im Höhenflug

Endlich ist der BER eröffnet, der Schlüssel für eine ganze Region. Auch das nahe Umfeld des neuen Großflughafens verändert sich. Während die Airport City auf dem Flughafengelände schon da ist, wird die „Aero City“ nach den Plänen  Moskauer Architekten wohl eine Vision bleiben. Statt neuer Wohngebiete boomen vor allem Gewerbeflächen.

Es ist kein Wunder, dass es diesmal klappen musste. BER-Chef Engelbert Lütke Daldrup hat sich mit der Eröffnung des Flughafens am 31. Oktober 2020 sein eigenes Geburtstagsgeschenk gemacht. Nun darf die Welt das Geschenk auspacken und wird nicht länger über den Skandalflughafen lachen. Wohl auch nicht darüber, dass pandemiebedingt das neue Terminal 2 vorerst geschlossen bleibt und nur Terminal 1 funktioniert. Immerhin.

Zum Flughafenprojekt in Schönefeld gehört aber mehr als das Bauen und Betreiben seiner Terminals. 39 weitere Gebäude, zu denen auch das Hotel Steigenberger zählt, umfassen die Airport-City auf dem Flughafengelände. Alle Projekte sind fertig. Die Flughafenstadt soll in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren weiter ausgebaut werden.

„Wir entwickeln Flächen für Forschung und Entwicklung mit Affinität zu Tesla“, sagt Lütke Daldrup. Im Südosten Berlins werde ein ökonomisches Schwergewicht entstehen. Und jenseits des Airports?
 
Leicht fliegen die Golfbälle in den Himmel von Groß Kienitz, dann steht die Zeit still. Die weißen Kugeln verwandeln sich in graue, das Licht der Wolken stellt sie in den eigenen Schatten. Für den Effekt braucht es nicht einmal Sonnenschein. Manche Flugbahn scheint endlos, doch es dauert maximal fünf Sekunden, bis die Bälle auf dem Rasen der 300 Meter weiten Driving Range landen. Hunderte liegen herum, sie gleichen Pusteblumen auf einer Wiese. Ein Fahrzeug zieht Bahnen, sammelt alle wieder ein, und die Golfer setzen die Abschläge fort. Nur ein schmaler Waldstreifen auf einer Anhöhe trennt die große grüne Golflandschaft von der Südbahn des BER. Markus Fränkle, Präsident der „Golfanlagen Groß Kienitz“ ist diese schon vertrauter. Zweimal wurde sie in der Vergangenheit provisorisch von Airlines genutzt, um zu  bestimmen, auf welchem Kurs sie ihren Flugkorridor erreichen. Direkt nach dem Abheben – berichtet Fränkle – flogen die Ryanair-Maschinen über das Clubhaus des Golfvereins. Das sei nach der offiziellen Inbetriebnahme nun anders. Der Flugbetrieb stört ihn nicht.

Im Gegenteil: Die Golfer finden die Lage gut. 95 Prozent der Airports der Welt hätten einen Golfplatz in der Nähe, sagt Fränkle. In Shannon, Irland, liegt der Golfplatz nur ganze drei Meter entfernt. Von Groß Kienitz dauert es immerhin nur acht Minuten mit dem Auto zum Terminal 1, entweder über die Autobahn oder die B96. Ohnehin boomt das Golfspielen in Coronazeiten. „Es ist sicher und im Freien“, sagt Fränkle. Die Mitgliederzahlen und Platzreifen steigen. Die Rundenzahlen, die die Golfspieler auf ihren Zügen durch Brandenburgs längste Golfhügellandschaft absolvieren, hätten um ein Drittel zugenommen. Auf dem Acker vor dem  Clubhaus an der Straße nach Groß Kienitz möchte Markus Fränkle einen neuen 6-Loch-Platz anlegen. Es wäre der vierte Golfplatz auf dem Gelände und die perfekte Ergänzung. Plätze mit drei, neun und 18 Löchern gibt es diesseits der Straße schon. Doch der Acker interessiert auch andere.

Das Moskauer Architekturbüro RTDA entwickelt aus den dörflichen Strukturen eine neue Kleinstadt. In einem Entwurf für den internationalen städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070, der derzeit in der Ausstellung „Unvollendete Metropole“ im Kronprinzenpalais Unter den Linden präsentiert wird, zeigen sie ihre Vision von der „Aero City“: Um den Flughafen herum bilden Schönefeld, Großziethen und das Doppeldorf Dahlewitz/Groß Kienitz Teilzentren. Das Team aus Stadtplanern und Architekten unter der Leitung von Ivan Astafurov schlägt vor, die Siedlungsräume nördlich von Dahlewitz und südlich von Groß Kienitz zu erweitern. Die durch Ackerflächen getrennten Ortsteile der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow sollen aufeinander zuwachsen und sich im Zentrum eines neuen Landschaftsparks treffen. Von der Dahlewitzer Heide über den Dahlewitzer Gutspark bis zur Golfanlage in Groß Kienitz sollen die Grünflächen das neue Stadtgebiet durchziehen, die Urbanität bereichern. Fränkles Golfplatz ist dabei als Ankerpunkt in dem Landschaftspark vorgesehen.
 
„Eine Vision“, auch wenn das Leitbild der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow längst „Groß Grün“ lautet, sagt Michael Lippitz, Büroleiter des Bürgermeisters Michael Schwuchow. Bebauungspläne für neue Wohngebiete gäbe es dagegen keine. Auf den städtebaulichen Entwurf für Dahlewitz und Groß Kienitz blickt er mit Verwunderung. Zwar bestehe ein enormer Zuwanderungsdruck aus Berlin. Den könne man aber in bestehenden Wohngebieten auffangen: durch Lückenbebauung und Bauen in der zweiten Reihe.

Dahlewitz und Groß Kienitz liegen überhaupt zu nah an der Planungszone der Siedlungsbeschränkung, die im Landesentwicklungsplan für den Flughafenstandort festgelegt ist. Die Gemeinde darf nicht bauen. Sie setzt daher auf Gewerbegebiete – mit Erfolg. Rolls-Royce sitzt in Dahlewitz-Süd an der Autobahn. Die Nachfrage sei sehr groß: „Die Firmen stehen Schlange“, sagt Lippitz.

André Franke

 

84 - Herbst 2020
Stadt