Aufbruch in die Moderne

Max Kurzweil, Dame in Gelb, 1899, Öl auf Leinwand, 171,5 × 171,5 cm, Wien Museum, © Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Eine grandiose Ausstellung in der Alten Nationalgalerie bringt die drei Secessionen zusammen, die in Wien, München und Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts die Freiheit der Kunst feierten und der künstlerischen Avantgarde zum Durchbruch verhalfen.

Sie sind Wegbereiter der Moderne, verkörperten „den modernen künstlerischen Ausdruck der Zeit“, wie es der Kunstkritiker Max Osborn 1913 ausdrückte: die Secessionen (Abspaltungen). Entgegen dem in den 1890er-Jahren auf Repräsentation und Tradition ausgerichteten Kunstgeschmack, der beispielsweise in Berlin durch Kaiser Wilhelm II. und dem maßgebenden Malerfürsten Anton von Werner vorherrschte, zogen sie viele aufstrebende Talente an, die sich abseits der Akademien künstlerisch ausdrücken wollten. Die bedeutendsten Secessionen im deutschsprachigen Raum entstanden in Wien, München und Berlin. Alle verfolgten das gleiche Ziel. „Für uns gibt es keine allein seligmachende Richtung in der Kunst, sondern als Kunstwerk erscheint uns jedes Werk – welcher Richtung es angehören möge – in dem sich eine aufrichtige Empfindung verkörpert“, so formulierte es beispielsweise die Berliner Secession 1999. In allen drei Gemeinschaften versammelten sich damals teils kaum bekannte oder heftig kritisierte Künstler,  jene, die heute zur  Avantgarde der Moderne zählen.

Gemeinsam mit dem Wien Museum ist es der Alten Nationalgalerie gelungen, in der großartigen Ausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“ die drei Secessionen zusammenzuführen. Neben den gemeinsamen Zielen, beispielsweise „alle Künste zu vereinigen“, wie es die Wiener Secession propagierte, werden dabei die lokalen Besonderheiten der neuen stilistischen Strömungen deutlich, denen sich damals viele Mitglieder verpflichtet fühlten. So stehen zwar bis heute die Pro-tagonisten und Gründer der Secessionen 1892 in München mit Franz Stuck, 1897 in Wien mit Gustav Klimt und 1899 in Berlin mit Max Liebermann für Symbolismus, Jugendstil und Impressionismus. In der Ausstellung wird aber deutlich, dass sich die Künstler keineswegs auf bestimmte Stilrichtungen festlegen ließen und sich durchaus auch innerhalb der Secessionen bewegten. So sind neben herausragenden Werken von Klimt, Stuck und Liebermann u.a. Gemälde, Grafiken und Skulpturen von Lovis Corinth, Max Slevogt, Lesser Ury, Carl Moll, Koloman Moser, Max Kurzweil, Josef Engelhart, Käthe Kollwitz, Dora Hitz, Sabine Lepsius und Elena Luksch-Makowski, von mehr als 80 Künstlerinnen und Künstlern, ausgestellt. Allein 60 Werke von Gustav Klimt machen die Ausstellung zu einem besonderen Kunstgenuss, denn berühmt wurde Klimt vor allem durch seine Damenporträts und Allegorien. Sein Wirken war unmittelbar mit der Wiener Secession verbunden, aus der er allerdings 1905 bereits wieder austrat.

Einer der wichtigsten Protagonisten und Mitbegründer der Münchner Secession war Franz Stuck, der die Vereinigung im Sinne des internationalen Symbolismus prägte. Seine „Pallas Athene“ – Göttin der Weisheit, der Kunst und des Kampfes – diente als Sinnbild für die Wehrhaftigkeit der neuen Kunst. Durch ihren engen Kontakt zu den Zeitschriften „Simplicissimus“ und „Jugend“ hatte die Münchner Secession ab 1896 auch eine Art Vorreiterrolle. Nicht zuletzt die Pressekontakte verhalfen den Secessionen zur mehr Öffentlichkeit und Verbreitung. Während in ihren Katalogen, Druckerzeugnissen und Plakaten die Secessionen in München und Wien kämpferisch auftraten, kam die Berliner Secession eher spöttisch daher. Auf dem Ausstellungsplakat von Thomas Theodor Heine von 1901 ist der Konflikt zwischen der etablierten alten und der neuen Kunst in ironischer Weise symbolisiert: die junge Malerin küsst den sich sträubenden Bär, der das konservative Publikum der Stadt verkörpern soll. Die treibende Kraft in der Berliner Secession war Max Liebermann, der um 1900 bereits eine berühmte Künstlerpersönlichkeit war. Sowohl der französische Impressionismus als auch seine zahlreichen Aufenthalte in Holland prägten seinen Malstil, der auf die Mitglieder der Secession starken Einfluss hatte. Nur in der Berliner Secession waren übrigens auch Künstlerinnen zugelassen. Die Blütezeit der Berliner Secession dauerte etwa 10 Jahre, bis sie von der Neuen Secession abgelöst wurde. In 13 Kapiteln zeigt die Ausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“ die ganze Bandbreite der individuellen Stile der Secessionsmitglieder, aber auch die Einbeziehung internationaler Künstler wie Edvard Munch, der zu dieser Zeit noch völlig unbekannt war, August Rodin oder Ferdinand Hodler, die ihre Werke auf den Secessionsausstellungen zeigen durften.

Der Aufbruch in die moderne Kunstwelt um 1900 ist ohne das Wirken der Secessionen in München, Wien und Berlin nicht zu denken. Die hervorragend kuratierte Ausstellung in der Alten Nationalgalerie liefert den Beweis.

Reinhard Wahren

 


Wilhelm Schulz, Plakat für die 2. Ausstellung der Berliner Secession, 1900, Lithografie, 57,1 × 45,5 cm, © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek [Foto: Dietmar Katz]

 

 

Information

Secessionen.
Klimt, Stuck, Liebermann
Bis 22. Oktober 2023
Alte Nationalgalerie,
Museumsinsel Berlin
Bodestraße 1-3, 10178 Berlin

 

93 - Sommer 2023
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