Im Winter wird durchgeblüht

Das Alpenveilchen ist der Star unter den Topfpflanzen. Wild und in manchen Gärten wächst es schon im Februar.

Im frostigen Februar, wenn wir glauben, der Garten halte noch Winterschlaf, kann es sein, dass unter nackten Buchen und Büschen die weiße Schneedecke leise zu knistern beginnt. Wo gerade noch funkelnd das Sonnenlicht auf der eisigen Krus-te tanzte, machen sich kleine karminrote Tupfer breit. Jeden Tag mehr und mehr Frühlingsalpenveilchen drücken ihre zarten propellerartigen Köpfe zielstrebig durch die glitzernde Schneedecke ins Licht über dem Gartenbeet und sehen aus wie lauter Blutstropfen im makellos weißen Winterkleid.

Das Frühlingsalpenveilchen kann bis in den Juni blühen, je nachdem, wie hart der Winter gerade ist, wie lange er andauert und wie hoch über dem Meer die Pflänzchen angesiedelt wurden. Es ist eine winterharte Züchtung. Seinen wilden Ahnen aus den Bergen sieht es zum Verwechseln ähnlich. Genauso kapriziös und wählerisch, was seine Umgebung betrifft, gehört es zu den seltenen und besonders liebreizenden allerersten Frühlingsboten. Wie alle Cyclamen ist es ein Primelgewächs und beileibe kein Veilchen. Cyclamen purpurascens. So heißt das wilde Alpenveilchen bei uns. Im Alpenländischen blüht es rosig bis auf 2 000 Metern Höhe vom Hochsommer bis in den Herbst. Die Pflanze liebt die Süd- und Ostalpen sowie deren Vorland. Im deutschen Berchtesgaden fühlt es sich wohl, im österreichischen Salzkammergut oder in den Julischen Alpen Sloweniens. Wer das Glück hat, dort oder woanders aus Gebüsch und Laub die kühlen leuch-tenden Blütenkronen aufragen zu sehen, kniet gleich nieder. Wilde Alpenveilchen können nämlich herrlich duften. So stark wie Maiglöckchen. Wie mit Silberstaub bepudert schimmern die Blütensträuße rosarot. Der Schlund in ihr Innerstes ist dunkler getönt und führt so die hungrigen Hummeln zu wohlriechenden ätherischen Ölen. Für den Garten kultiviert, und auch wild im Laubwald wachsend, gedeiht das Alpenveilchen am besten regengeschützt im Halbschatten. Seine fein behaarten Stängel und Blätter bleiben unterm Laubdach verborgen. Kühl ruhen die Knollen im nährstoffreichen feuchten Humusboden. So vermehrt sich kräftig das Pflänzchen, sät seinen Samen, der, von Ameisen verschleppt, im Dunkel keimt und im Laufe der Jahre ganze Alpenveilchenteppiche bilden kann.

Als die wilde Art noch in verschwenderischer Fülle in unseren Alpen wuchs, haben seine saftigen und gehaltvollen Knollen auch den Schweinen geschmeckt. Darum nannte man das Alpenveilchen im Mittelalter sogar Schweinebrot. Für Menschen sind die Knollen allerdings giftig. Nur in geringer Dosierung haben Volksmediziner sie hin und wieder gegen Verstopfung verabreicht. Seit das wilde Pflänzchen in den Alpen heimisch wurde, bekam es viele Namen: Erdscheibe. Bischofs- oder Pfaffenkapsel. Blutende Nonne. Turkalan. Gichtapfel. Hasenrübe. Kreuzwehkraut. Auch Studentenrösle, und zu guter Letzt Alpenveilchen. Irgendjemand hatte es schließlich in den Alpen gefunden. Da hatte es seinen Namen weg. Bevor es im späten 16. Jahrhundert zu uns kam, war es nur in den Bergregionen des Kaukasus zu Hause, aber auch in Kleinasien, Griechenland und Persien. Die Art heißt Cyclamen persicum wegen ihrer pfirsichfarbenen Blüten. Sie ist die Urmutter all unserer Alpenveilchen. Während die wild wachsende Art bei uns sehr selten geworden und längst streng geschützt ist, gedeihen die Züchtungen immer vielfältiger. Mehr als 20 Alpenveilchenarten fristen ihr Dasein in Töpfen auf Europas Fens-terbänken und entfalten barocke Pracht. Für den Nachschub werden seit über 100 Jahren im türkischen Bergland seine Knollen gesammelt. Drei Millionen gelangen so jedes Jahr nach Holland, wo sie kultiviert werden, weiß der bayrische Gärtner und Fachmann für Gebirgsgärten Eugen Schleipfer. Das Frühlingsalpenveilchen (Cyclamen coum) und die von August bis zum Frost ebenfalls im Garten blühenden Cyclamen hederifolium sind Nachkommen der alpenländischen wilden Art und sehen ihrer kaukasischen Urmutter zum Verwechseln ähnlich.   

Inge Ahrens

 

 

57 - Winter 2013/14
Kultur