Wasserstadt de luxe – Von der Lippenstiftfabrik zum Wohnhaus

Auf der Halbinsel Stralau, wo die Wasserstadt gebaut wird, gibt es jetzt auch ein bewohntes Hochhaus. Ein Hochhaus in Stralau und nicht am Alex? Nun, es ist nicht gerade ein Wolkenkratzer, der ins Auge sticht, aber es überragt die Gebäude der Alt-Stralauer Straßen um einiges. Das merkt man spätestens, wenn man selber das Haus betritt und ins oberste, elfte Stockwerk fährt, wo es eine Penthousewohnung zu besichtigen gibt. 

In 35 Meter Höhe kann ihr künftiger Käufer (sie ist noch zu haben) auf dem Balkon frühstücken und in den Treptower Hafen blicken oder wahlweise auf die Frühstückstische anderer Nachbarn am Spreeufer. Die Berliner Traufhöhe hat man hier oben längst überschritten, und die Ganzglasgeländer, gelinde gesagt, verstärken den Eindruck, tatsächlich hoch in den Lüften zu sein. Eine Herausforderung für Akrophobiker.

Der Architekt des Gebäudes, Jens Suhren, fühlt sich hier oben wohl. Er schwärmt von den Balkonen, die bis zu 30 Quadratmeter groß sind, während der starke Spreewind seinen Worten die ein oder andere Silbe entreißt. Frühstückseier von morgen sind wohl besser anzuketten. Suhren hat das Hochhaus nicht neu erschaffen, sondern ab 2009 vier Jahre lang umgebaut. Als er das damals zu 80 Prozent leer stehende Bürogebäude erstmals betrat, war er begeistert von den hohen Räumen. Die Decken in den heutigen Wohnungen sind über drei Meter hoch, so gleicht das Raumgefühl dem einer Altbauwohnung. Nur kommt ein Panorama hinzu, das sich gewaschen hat: Frankfurter Tor, Treptowers, Oberbaumbrücke – die ganze Berliner Innenstadt hängt den Bewohnern des „Spreegold“, so heißt das Haus, vor den Fenstern. Man blickt sogar bis zum Teufelsberg im Grune-wald oder zur Zionskirche auf dem Prenzlauer Berg. Doch niemand muss für diese Aussicht nach ganz oben ziehen. „Schon ab der vierten, fünften Etage blickt man über die Dächer der Nachbarhäuser“, sagt Suhren. Noch eine Besonderheit: Die Berlin-Blicke sind in mehrere Richtungen möglich, da die Grundrisse über Eck liegen, denn das Gebäude ist aus vier Hochhausscheiben zusammengesetzt. Wer will, macht das Panorama also zum Programm: morgens Berliner Fernsehturm, abends die Stralauer Dorfkirche. 

Der neue Gebäudename spielt auf den alten an. Das DDR-Bürohaus, das von 1983 bis zur Wende von einem Kosmetikbetrieb genutzt wurde, war wegen seiner bronzierten Fassade als „Goldenes Haus“ bekannt. Architekt Suhren nahm das Thema beim Umbau auf, doch auch heute ist nicht alles Gold, was glänzt: Es sei eine metallisierende Farbe, sagt er, die verwendet wurde. So schimmert das weiße Wohnhochhaus auch heute wieder im Licht der Sonne ein wenig golden, ein bisschen warm, weil die gold-gemalerten Balkondecken ganz dezent die Fassaden betönen. Knalliger geht es unten im Foyer zu: „vergoldete“ Wände, wohin das Auge sieht. Nimmt man das Haus von der Straße aus noch als bescheiden wahr, wird  drinnen nicht gekleckert, sondern ganz schön geklotzt. Und so empfängt und verabschiedet ein uniformierter Concierge die Bewohner, die sich auch beim Schwitzen in der gemeinschaftlichen Sauna dem metallisierenden Material nicht entziehen können. Aber wer will das schon? „Spreegold“ ist ein Luxus-Projekt, das den Käufern der 116 Eigentumswohnungen ein Privatleben auf Fußbodenheizung, Trittschalldämmung und Massivholzparkett offeriert, wobei die Wohnungsgrößen mit 68 bis 135 Quadratmeter recht moderat ausfallen. Nur die zehn Penthouse-Wohnungen sind bis zu 216 Quadratmeter groß. 

Suhren, auf Baudenkmale spezialisiert, sieht zum Fenster raus. „Eigentlich hatten wir uns um den Flaschenturm bemüht“, sagt der Architekt, der in der Wasserstadt schon seit Ende der 90er Jahre aktiv ist. Letztlich bekam er es nicht mit der benachbarten ehemaligen Engelhardt-Brauerei zu tun, zu der der Flaschenturm gehört, sondern mit der ausgedienten Architektur der Lippenstiftfabrik, die den Wasserstadt-Planern ein Dorn im Auge gewesen sei. Inspiriert haben den Architekten dann nicht nur die Raumhöhen und der Ausblick: Suhren erkannte die Flexibilität, die das „Goldene Haus“ als Stahlbetonskelettbau besitzt, ersetzte die komplette Vorhangfassade, baute auf die vormals acht Geschosse drei komplett neue oben drauf, musste dafür aber das Fundament verstärken: Mit großen Spritzen, sagt Suhren, hätten die Bauarbeiter den Beton in den Baugrund injiziert. Die einzige Schwierigkeit war das nicht. Fragt man ihn heute, was das Herausfordernde an „Spreegold“ war, nennt er drei Dinge: „Es war ein Bestandsgebäude, ein Hochhaus, und es waren moderne Wohnungen gefragt.“ So leicht verdaulich das nach dem Slogan des berühmten Überraschungseis klingt – für den Architekten war die Mixtur „sehr, sehr aufwendig, aber lohnenswert“. Bei Hochhäusern gelten höhere Brandschutzauflagen, und für das glamouröse geräumige Foyer, das zwei Stockwerke umfasst, musste Suhren den alten Erdgeschoss-Sockel des Bürohauses rausreißen. 

Am Ende hat er aus dem „Dorn“ der Wasserstadt ein respektables Haus gemacht und Alt-Stralau eine schlichte Krone aufgesetzt. Zehn Gärten hat er im ersten Obergeschoss auf dem nach außen erweiterten, herausgezogenen Sockel angelegt, und da zwei von den drei neuen Etagen, nämlich die zehnte und elfte, zurückgesetzte Staffelgeschosse sind, gibt es Dachgärten auch dort oben, wo der Wind weht. Über die Balkone sagt Suhren, es seien eigentlich Loggien. Von massiven vertikalen Pfeilern getragen, fühlt sich die Loggia wie sicherer Wohnraum an. Menschen mit Höhenangst kommt das entgegen.

„Spreegold“, das im Foyer mehr wie ein Hotel als ein Wohnhaus wirkt, ist ein Projekt der Streletzki Gruppe, die in das „Goldene Haus“ rund 40 Millionen Euro investiert hat. Ihr gehört auch das Hotel Estrel in Neukölln, das um ein 170 Meter hohes Gebäude (ein wahrer Wolkenkratzer, der höchste in Berlin) bald bereichert werden soll. So ist es mit dem knalligen Flair im Umfeld des „Spreegold“-Concierge nicht verwunderlich, wenn Geschäftsführer Julian Streletzki offen zugibt: „Das Haus haben wir mit den Augen eines Hoteliers errichtet.“ De Luxe ist das Konzept. 

André Franke

 

58 - Frühjahr 2014
Stadt