Vom Hauptquartier zum Wohnviertel

Sowjetisches Sperrgebiet, KGB-Verwaltung, Paradestrecke für DDR-Staatsgäste. Diese Begriffe verbinden sich mit Karlshorst. Dabei galt der Lichtenberger Stadtteil einmal als „Dahlem des Ostens“ – und mittlerweile zieht der grüne Stadtrand verstärkt neue Bewohner an.

Es ist eines der größten Wohnungsbauvorhaben, das in Berlin derzeit in Planung ist: die Gartenstadt Karlshorst. Alles in allem etwa 1200 Einfamilien- und Reihenhäuser sowie Geschosswohnungen plant der Berliner Architekt Klaus Theo Brenner im Auftrag der zur Unternehmensgruppe Eisen gehörenden WPK Grundstücksentwicklungsgesellschaft. Keine schnöde Vorstadt-Schlafsiedlung schwebt dem renommierten Planer vor, sondern ein Quartier mit städtischem Charakter, das dem Gebiet an der Zwieseler Straße in den nächsten Jahren ein neues Gesicht geben wird. Erste Wohnhäuser im nördlichenBereich des Planungsgebiets sind bereits fertig; künftig werden rund 3 000 Menschen in der Gartenstadt Karlshorst wohnen.

Ebenfalls bereits saniert und in Wohnhäuser umgewandelt sind einige der ehemaligen Kasernen, die für die Zwieseler Straße typisch sind. Errichtet wurden die Kasernengebäude zwischen 1936 und 1938 als Pionierschule I der deutschen Wehrmacht. Der Ort schrieb am 8. Mai 1945 Weltgeschichte, als im Offizierscasino der Pionierschule Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnete. Das Deutsch-Russische Museum (geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei) erinnert an diese historische Begebenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte auf dem Areal zunächst die Sowjetische Militäradministration (SMAD) ihren Sitz, danach der sowjetische Geheimdienst KGB, sodass dieser Teil Karlshorsts für die deutsche Bevölkerung über Jahrzehnte nur eingeschränkt zugänglich war.

Dennoch wäre es falsch, Karlshorst auf seine militärische Tradition zu beschränken. Ganz im Gegenteil: Der zum Bezirk Lichtenberg gehörende Ortsteil mit seinen heute 24 000 Einwohnern weist eine fast 120-jährige Geschichte als gehobener Wohnort auf. 1895 bestätigte der Landrat des Kreises Niederbarnim, Wilhelm von Waldow, einen „Colonie-Consens“ für die damals noch Carlshorst geschriebene Siedlung, die sich bald als bevorzugte Adresse besser situierter Bürger etablierte. Vor allem ab 1902, als mit der Fertigstellung des Bahnhofs eine schnelle Verbindung ins Stadtzentrum geschaffen war, entwickelte sich Karlshorst so zum „Dahlem des Ostens“. 

Noch immer zu spüren ist diese gediegene Atmosphäre im Prinzenviertel, das sich südlich der Bahnlinie und westlich der Treskowallee erstreckt. Hier gibt es keine Mietskasernen mit engen Hinterhöfen, sondern frei stehende Stadtvillen mit großzügiger Anmutung. Zur Attraktivität bei trug auch die bereits 1894 eröffnete Trabrennbahn auf der östlichen Seite der Treskowallee, die ein illustres Publikum anzog. Heute heißt die Anlage Pferdesportpark Berlin-Karlshorst und dient immer noch als Austragungsort von Pferderennen. 

Das wohl bedeutendste Baudenkmal von Karlshorst befindet sich weiter südlich, direkt an der Grenze zu Oberschöneweide. Im Karree von Hegemeisterweg, Gleyeweg, Drosselstieg und Am Fuchsbau wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg nach Plänen des Architekten und Designers Peter Behrens die Waldsiedlung errichtet. Insgesamt 117 Wohneinheiten entstanden hier, die meisten in Reihenhäusern. Diese Häuser, besonders schön zu sehen im verträumt wirkenden Drosselstieg, wiesen in der Regel vier Zimmer und außerdem einen 150 bis 300 Quadratmeter großen Garten auf, der auch die Haltung von Kleintieren erlaubte. In der Straße Fuchsbau entstanden darüber hinaus kleine Mehrfamilienhäuser mit jeweils vier Wohnungen. 

Auch heute wird in Karlshorst wieder eifrig gebaut. „Karlshorst“, heißt es beim Bezirksamt Lichtenberg, „hat sich in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten innenstadtnahen Wohnquartier entwickelt. “So entstand in den vergangenen Jahren südlich der S-Bahnlinie, nicht weit vom Bahnhof entfernt, ein 40 Hektar großes Wohnviertel namens Carlsgarten mit individuell gestalteten Einfamilienhäusern. Und sogar für neue Mietwohnungen rückt der Ortsteil ins Blickfeld: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge errichtet derzeit auf dem ehemaligen Gelände eines Studentenwohnheims der Hochschule für Technik und Wirtschaft die Treskow-Höfe mit rund 400 Mietwohnungen.

„Bioladen und ein Kindercafé mit Second-Hand-Kleidung – beides untrügliche Zeichen für den Aufstieg eines Stadtviertels. Das ist das neue Karlshorst.“

„Wie bei allen Neubauvorhaben setzen wir bei den Treskow-Höfen auf moderne und effiziente Grundrisse sowie einen  hohen energetischen Standard“, sagt Howoge-Geschäftsführerin Stefanie Frensch. Die Fertigstellung kündigt sie für Sommer dieses Jahres an.

Die künftigen Mieter der Treskow-Höfe werden von der besser gewordenen Infrastruktur von Karlshorst profitieren: Es gibt nicht nur die gute S-Bahn-Anbindung an die Innenstadt, sondern auch ein vielfältiges Einkaufsangebot, wozu mittlerweile auch ein Bio-Supermarkt und andere höherwertige Läden gehören. Um den Einkaufsstandort weiter aufzuwerten, hat eine Unternehmerinitiative das Konzept „Karlshorst dabei!“ erstellt und dafür einen Preis im Wettbewerb „MittendrIn Berlin! Die Zentren-Initiative“ erhalten. Geplant ist, im Laufe dieses Jahres eine App zu lancieren, die beim virtuellen und realen Flanieren durch Karlshorst hilft und auch Tipps zu kulturellen Angeboten gibt. Hinweisen wird die App damit sicher auch auf das 2012 in einem Neubau in der Treskowallee 112 eröffnete Kulturhaus Karlshorst. Noch nicht endgültig entschieden ist über die Zukunft des benachbarten Theaters Karlshorst, das 1948/49 als Kulturstätte für die sowjetischen Truppen errichtet wurde.

Das Theater ist nicht das einzige geschichtsträchtige Gebäude im aufstrebenden Stadtteil. In der Gundelfinger Straße 10/11 zum Beispiel trifft man auf eine ehemalige Schule, die vor einigen Jahren von der Mietergenossenschaft Selbstbau zu einem Mehrgenerationenhaus umgebaut wurde. Und auch das Portland-Cement-Haus in der Dönhoffstraße 38 ist einen näheren Blick wert: Es wurde 1901 vom Verband der Zementfabrikanten errichtet, um die Leistungsfähigkeit des damals neuen Werkstoffs zu demonstrieren.

Emil Schweizer 

 

61 - Winter 2015
Stadt