„Sind die normal oder eklich?“

... fragen sich die Kinder, als ihre Eltern nach erfolgreicher Scheidung beschließen,  es nach Jahren doch nochmal miteinander zu versuchen. „Tag Hicks oder Fliegen für vier“ heißt das Stück, das den diesjährigen „berliner kindertheaterpreis“, gemeinsam ausgeschrieben von Grips-Theater und der Gasag, gewonnen hat.

Die Jury war offensichtlich fasziniert. Die Autorin beschreibe die verrückte, schöne, wunderliche Welt der Kinder – und wie sie die verrückte, nicht besonders schöne, wunderliche Welt der Erwachsenen sehen. Und das mit subversiver Logik und urkomischen Dialogen. Für Kirsten Fuchs ist es ihr Debüt als Stückeschreiberin – als Autorin von Romanen, Kolumnen und Kurzgeschichten hat die 1977 in Karl-Marx-Stadt Geborene längst einen Namen. Es sind ihr leichter, humorvoller Stil, das Ungekünstelte, ihre scheinbar lapidaren Beobachtungen, die den Leser verblüffen und ihn denken lassen: Genau so ist es oder so habe ich das noch gar nicht gesehen.  Aber warum setzt sie nun auf ein ganz anderes Pferd? „Der Stoff rumorte aktuell in meinem Kopf herum“, sagt sie. Aber für ein Prosa-Stück schien es ihr zu persönlich. Die dramatische Form würde Abstand dazu schaffen.  Doch der Kindertheaterpreis hat seine ganz eigene Herangehensweise, die Kirsten Fuchs wohl auch verblüffte. Hier wird ein Stück aus der Einreichung heraus gemeinsam entwickelt. Aus 120 Einreichungen – das ist im zehnten Jahr der Zusammenarbeit zwischen Theater und der Gasag ein Rekord, wurden vier Texte für Phase zwei ausgewählt.  Das Credo des Theaterpreises ist es, nicht einfach nur gute Stücke für Kinder zu finden, sondern Bühnenproduktionen zu entwickeln, die es auf den Punkt bringen, die genau die Zielgruppe erreichen, die in Sprache und Gestus aus der Sicht der Kinder und aus ihrer aktuellen Lebenswelt erzählen. Kein Zweifel, dass man dafür im legendären Grips-Theater über ein besonderes Händchen verfügt.  Jüngstes Beispiel: Milena Baischs „Die Prinzessin und der Pjär“ (Preisträger im Jahr 2013), ein eindringliches und herrlich komödiantisches Theaterstück für Menschen ab acht, wurde zu vielen Gastspielreisen eingeladen und gewann den Mülheimer „KinderStückePreis 2014“. An dieser Stelle kommt auch das Engagement der Gasag ins Spiel. Es geht dem Unternehmen darum, Kultur so zu fördern, dass sie lange lebt. Vera Gäde-Butzlaff, Vorstandsvorsitzende der Gasag, versteht dieses kulturelle Engagement als Teil des unternehmerischen Selbstverständnisses. „Einzigartigkeit, unternehmerischer Mut und Beharrlichkeit, die stete Weiterentwicklung von Ideen und Initiativen sowie eine nachhaltige Wertschöpfung für alle Beteiligten – das sind gemeinhin die üblichen Kennzeichen für ein erfolgreiches Produkt“, und sie bezieht dies auf das Unternehmen Gasag und den „berliner kindertheaterpreis“. Und schließlich geht es auch darum, dem Nachwuchs eine Chance zu geben – dem, der für die Bühne schreibt und dem, der im Publikum sitzt. Und dafür nehmen sich Grips-Theater und Gasag Zeit. Von der Auswahl der Stücke bis zum Küren des Preisträgers dauert es zwei Jahre, sodass in zehn Jahren Zusammenarbeit fünf Stücke zu Buche stehen. Das Besondere daran ist, dass die letztlich ausgewählten Stücke im Rahmen zweier mehrtägiger Workshops genau unter die Lupe genommen wurden. Es gab Schulbesuche, Gespräche mit Dramaturgen, Autoren, Theaterpädagogen und Kindheitsexperten – die Autoren sehen dann ihr Stück in anderem Licht. Und nach weiteren Wochen quasi der erste Praxistest. Schauspieler lesen und spielen die Texte. „Das war eine verrückte Erfahrung“, erzählt Kirsten Fuchs, „als Schauspieler meine Texte spielten.“ Und ihre Gefühle schwankten zwischen aufregend, erfreulich, peinlich, krass. Einige Dinge funktionierten, andere taten dies überhaupt nicht. „So ein Stück ist wie ein Kleid, das jemand anders tragen muss. Mal passt es, mal nicht“, sagt sie. Und ihr Kleid scheint in jedem Fall dem Grips-Theater zu passen.

Zehn Jahre sind für die  Gasag und das Grips-Theater nicht nur ein Grund, gemeinsam zu feiern, sondern auch weiterzudenken. Birgit Jammes, Sponsoringreferentin der Gasag und auch Mitentwicklerin dieses Preises, denkt laut: „Vielleicht muss der kindertheaterpreis gar kein reiner Autorenpreis mehr sein.“ Und man schöpft aus den Erfahrungen des „berliner opernpreises“, den ebenfalls die Gasag gemeinsam mit der Neuköllner Oper auslobt. Dieser Wettbewerb ist mittlerweile so ausgerichtet, dass nicht mehr nach einzelnen Komponisten Ausschau gehalten wird, sondern nach künstlerischen Kollektiven. Und man merkt ihr an, dass sie gemeinsam mit dem Grips-Theater große Lust hat, den „berliner kindertheaterpreis“ weiterzuentwickeln, auch ihm gewissermaßen ein neues Kleid zu schneidern.   

Martina Krüger

 

62 - Frühjahr 2015
Kultur