Beziehung mit Vollgas

„Hey, wir woll´n die Eisbär´n sehn!“ Seit dem 11. September hämmert dieser Song der Puhdys wieder durch die Arena am Ostbahnhof. Mit dem ersten Spiel begann für die Eisbären und die Gasag eine Jubiläumssaison in der Deutschen Eishockey-Liga. Dabei scheint die einprägsame Vereinshymne der beliebten Ost-Rocker den Fans vor den Partien schon seit Menschengedenken einzuheizen. Noch zwei Jahre länger als der 1997 komponierte Ohrwurm begleitet den Rekordmeister allerdings der Hauptsponsor Gasag, was im Profisport einer Sensation gleichkommt. „So etwas gibt es bei Sportvereinen bestimmt nicht oft zu feiern“, sagt auch die Vorstandsvorsitzende des Berliner Energie-Versorgers, Vera Gäde-Butzlaff, und ergänzt treffend für ihr Unternehmen: „Schließlich sind wir in guten und in schlechten Zeiten mit dafür verantwortlich, dass auch in einer Eishalle nicht nur die Fans fürs Einheizen verantwortlich sind.“

Mit wachsamen Augen verfolgen nicht nur die Fans und Sponsoren, wie sich der siebenmalige Meister aus dem Dilemma der vergangenen beiden Spielzeiten zu befreien gedenkt. Nach Jahren des Höhenflugs erreichten die Eisbären zuletzt zweimal hintereinander nicht einmal die Playoffs der acht besten Vereine und mussten sich frühzeitig in den ungeplant langen Urlaub verabschieden. „Die Pause war leider ziemlich ausgedehnt“, sagt Mannschaftskapitän André Rankel. „Deswegen haben wir im Sommer noch viel härter als sonst gearbeitet, um diesmal wieder ein Wörtchen mitzureden im Kampf um den Titel.“ Auch für Trainer Uwe Krupp, der im Dezember letzten Jahres den glücklosen Jeff Tomlinson ablöste, ist das magere Abschneiden eher Ansporn als Ernüchterung. „Wenn uns vor der Saison kein anderer Club auf der Meister-Rechnung hatte, dann müssen wir eben dafür sorgen, dass wir wieder auf den Zetteln der Konkurrenz auftauchen“, sagt der 50-Jährige, der als erster Deutscher den Stanley Cup für den Sieg in der nordamerikanischen Eishockey-Meisterschaft in die Luft stemmen durfte.

Zum Ziel der Saison hält sich der gebürtige Kölner, der auch schon die deutsche Nationalmannschaft betreute, allerdings zurück. „Ich will jedes Spiel gewinnen. Nun kann man daraus schlussfolgern, dass ich immer Meister werden will. Aber beim Eishockey gehören drei Dinge zu einem erfolgreichen Abschneiden: du musst gut sein, du musst gesund bleiben und du musst Glück haben. Nur wenn das alles zusammenkommt, dann steht man am Ende ganz oben.“

Ein vierter wichtiger Punkt fällt dann allerdings weniger in die Belange des Trainers, als denn in die für die Finanzen im Verein zuständigen Stellen. Der Club muss auch mit einer soliden wirtschaftlichen Basis ausgestattet sein, um im Konzert der Großen mitmischen zu können. Ansonsten drohen buchstäblich die Lichter auszugehen. Vor diesem Szenario standen die Eisbären 1995. „Die Liga verweigerte uns die Lizenz, weil wir einfach nicht genug Geld zusammenbringen konnten. Ich bin ratlos durch die Stadt gelaufen und kam zum damaligen Firmensitz der Gasag. Da bin ich einfach reingegangen und habe dem Vorstand mein Leid geklagt. Drei Wochen später hatten wir erstmals einen Hauptsponsor“, berichtet Billy Flynn über die Anfänge einer wunderbaren Beziehung.

Der heute 65 Jahre alte Ex-Profi aus den USA war seinerzeit Trainer bei den Eisbären und wegen der personell dünnen Decke im Verein auch gleichzeitig für die wirtschaftlichen Belange zuständig. „Wenn ich mir überlege, wie dicht wir damals vor dem Abgrund standen, und dann entgegenhalte, dass wir in diesem Sommer schon vor der Saison mehr als 5 200 Dauerkarten verkauft hatten, dann weiß ich zu ermessen, wie viel eine solide wirtschaftliche Grundlage für einen Verein wert ist“, sagt Flynn, der als Berater im Vereinsvorstand auch heute noch ein viel gefragter Mann ist. Wichtig in der Zusammenarbeit zwischen dem Club und dem Berliner Traditionsunternehmen ist der Fakt, dass die Gasag seit Beginn der Zusammenarbeit viel Wert auf die Ausbildung junger, eigener Spieler gelegt hat und seit mittlerweile elf Jahren auch als Hauptsponsor der Eisbären Juniors fungiert. „Andere Vereine tätigen in so einem Fall viele Einkäufe für das Heute und denken nur an die laufende Saison. Das war nie unser Maßstab. Die Ausbildung eigener Talente spielte bei uns immer eine ganz wesentliche Rolle. Und in dieser Beziehung haben wir der Gasag sehr viel zu verdanken“, bilanziert Eisbären-Geschäftsführer Peter John Lee und betont: „Diese Wertschätzung der Nachwuchsarbeit durch den Hauptsponsor eines Profivereins ist im deutschen Sport sehr selten und in jeder Hinsicht bewundernswert.“ Von den damaligen Bambini-Spielern, die vom Einstieg der Gasag Mitte der 90er-Jahre profitierten, sind heute viele Talente in den Profikader aufgerückt.

Mit dieser Kontinuität in der Arbeit versuchen die Eisbären in dieser Saison wieder ganz oben anzuklopfen. Deshalb ist auch ein Radikal-Umbruch ausgeblieben. „Das stand für uns aus zwei Gründen nie zur Debatte. Zum einen liefen zahlreiche Verträge weiter, so dass ein solcher Schnitt schon rechtlich schwer gewesen wäre“, sagt Stefan Ustorf als Sportlicher Leiter der Profiabteilung. Und Trainer Uwe Krupp nennt den zweiten Punkt. „Ich bin dagegen, eine Mannschaft von außen völlig neu aufzubauen. Der Kern stimmt bei uns. Deshalb haben wir uns entschlossen, um das Herz herum die Mannschaft der Saison zu formen. Und damit habe ich ein sehr gutes Gefühl, mir gefällt die Art und Weise dieser Mannschaft.“

Apropos Herz und Gefühl: Die 20-jährige Partnerschaft der Eisbären und der Gasag steht ab dieser Saison unter der emotionalen Wahrheit „Größter Fan seit 1995“. In der dazugehörigen Kampagne porträtiert die Gasag exemplarisch 20 größte Fans, die ebenso hinter den Eisbären stehen, mit ihnen weinen, sie feiern und mit Herzblut für sie kämpfen. Die Bandbreite reicht dabei von der Vorstandsvorsitzenden der Gasag höchstpersönlich über den Karat-Rocker Bernd Römer bis zum Stehplatzfan aus der Fankurve. Als erster wurde zu Saisonbeginn auf der Kampagnenplattform www.grösster-fan.de die Legende Sven Felski vorgestellt. Der „ewige Eisbär“ bestritt die unglaubliche Zahl von genau 1 000 Spielen für seinen Verein, die Nummer 11 des Stürmers wurde samt Trikot unter die Hallen- decke gezogen und wird in Zukunft nicht mehr vergeben. Solch lange Verbindung besteht zwischen der Gasag und den Eisbären noch nicht. Aber man ist auf dem besten Weg dahin.                  

Hans-Christian Moritz

 

64 - Herbst 2015