Schön viel Zeit

Mit der Ausstellung „As Time Goes By“ präsentiert die Berlinische Galerie Exponate zum Thema Zeit und ermöglicht neue und spannungsvolle Einblicke in die reichhaltigen Bestände des Hauses. 

Zeit ist ein ergiebiges Thema auch für die Bildende Kunst. Seit Paul Virilios Beschleunigungstext, seit dem rasanten zwanzigsten Jahrhundert und dem Echtzeit-Diktat des jungen 21. Jahrhunderts ist es ein Hauptthema geworden. Wie, so wird gefragt, ist die Zeit zu fassen, wie kann man sie erfühlen, das Unsichtbare sichtbar machen. Wie kann man Zeitempfindungen steigern oder dieses unaufhörliche Voranschreiten zumindest etwas außer Kraft setzten? Eine der aufgeworfenen Fragen lautet: Wie kann die Kunst sich selbst überlisten und den Augenblick vergegenwärtigen? Von symbolträchtigen Uhrengemälden bis zur Video-Endlosschleife, von minimalistischen Kalenderwerken bis hin zu Fluxus, der auf das Gegenwartserlebnis abzielenden Kunstform der 60er und 70er Jahre, gibt es einen Reichtum an Zeit-Bildern.
Nun haben die drei Kuratoren Anna Ewa Dyrko, Antje Schunke und Thomas Steigenberger die hauseigene Sammlung der Berlinischen Galerie unter die Lupe genommen und eine Ausstellung zum Thema Zeit arrangiert, die drei Haupträume des Erdgeschosses umfasst. Selten oder nie gezeigte Arbeiten vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart treten mit den Meisterwerken des Hauses in einen Dialog, für den die Kuratoren die Stichworte geliefert haben: „Dauer – Moment“, „Ewigkeit – Vergänglichkeit“, „Retrospektiv – Prospektiv“. Entsprechend dieser Themengruppen sind die Räume arrangiert. Im ersten geht es um das Wahrnehmen von Zeit als Moment, Strudel, Spirale, als Bewegung oder Ruhe. Gleich zu Beginn des Rundgangs begegnet man Wolf Vostells „West – Östlichem Arm“ (1976), einem Werk, das mit seinen elf Armbanduhren quasi das Ausstellungsthema illustriert. Von der objektiven Zeitmessung und dem Fetisch- oder gar Raubobjekt Uhr geht es zur Vielschichtigkeit der Gefühlswerte. Dieter Appelts Foto „Der Fleck auf dem Spiegel, den der Atemhauch schafft“ versucht einen kurzen Moment sinnlich werden zu lassen. Dauer oder gar unergründliche Ewigkeit dagegen suggeriert seine aus dreißig Schwarzweiß-Fotografien komponierte Installation „Das Feld (Nr. 2)“. Hier addiert der Berliner Künstler Strudel an Strudel zu einer Gesamtkomposition, die jeder Vorstellung vom gleichmäßigen Fließen zu widersprechen scheint. Ein vergleichbares Bild der Dauer liefert Ann Holyoke-Lehmann mit einer fast mathematisch anmutenden Abwicklung eines Kreises. Zu diesen zeitgenössischen Arbeiten stehen die Bronzen aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in schönstem Kontrast. Die klassische Moderne fand andere Bilder für Augenblick und Bewegung: etwa in der kinetischen Skulptur von Naum Gabo, „Stehende Schwingung“ (1919/20), die per elektrischem Impuls ausgelöst wird. So geht es fort im Zeitparcours mit diametralen ästhetischen Strategien und ihren mal subtil gefundenen, mal etwas konstruierten Berührungspunkten.

Die zentrale Halle des Museums ist staatlichen und individuellen Erinnerungs- und Gedenkritualen gewidmet. Der Vergänglichkeit Einhalt gebieten und Triumphe der Ewigkeit feiern: So gelangte Anton von Werners berühmtes Riesengemälde „Die Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten“ (1908) nicht ohne polemische Absicht ins Zentrum der aktuellen Zeit-Schau mit dem Titel „As Time Goes By“. Jener nationalfeierliche Pomp der wilhelminischen Ära wird mit den sarkastischen Installationen des Künstlerpaares Edvard und Nancy R. Kienholz oder Robert Capas Nachkriegsberlin-Bildern konfrontiert. Skizzenhaft wird hier ein Zeitraum überspannt und dabei Platz geschaffen für Bilder, die vom Bewahren des Einzelnen handeln: Harald Metzkes „Maler und Modell“ oder „Tamerlan“, Gundula Schulze Eldowys Fotoserie vom Altern.

Die letzte Halle gilt den Projektionen, den Idealisierungen von Zukunft und Vergangenheit. Zeit ist hier weniger eine Angelegenheit der künstlerischen Werke selbst als vielmehr des Konzepts. Hier begegnet man Helmut Verchs 1980 gemaltem „ICC Berlin II“ und im Kontrast dazu etwa den digital monumentalisierten, monströs wirkenden Stadträumen „S #14“ von Beate Gütschow. Raffael Rheinsbergs häufig aus dem Depot geholte Grenz-Installation „Erinnerung“ (Achtung, Mauerfalljubiläum!) ist aufgebaut, um der „Praxis der Nostalgiesierung“, so Anna Ewa Dyrko, entgegenzuwirken.

Anita Wünschmann

 

 

Ausstellung
„As Time Goes By – Kunstwerke über Zeit“

Bis 31. August 2009

Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst,
Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin

38 - Frühjahr 2009