Oben geht‘s weiter

Ob Klunkerkranich oder Fußballhimmel, die Dächer über Berlin bieten ungeahnte Möglichkeiten. 

Wie geht es hier aufs Dach? Vom Parkdeck noch eine Etage höher führt der Weg bergauf zum „Klunkerkranich“. Wie ein ironisch tönendes Fabelwesen ist diese Dachterrasse auf den Neukölln Arcaden der Wirklichkeit der Karl-Marx-Straße entrückt. Die laute staubige Verkehrsader ist plötzlich weit weg. Der Sonnenuntergang ganz nah.

Pflanzkübel, die zum Mitgärtnern einladen, Sitznischen, Livemusik, eine Bar – dieser Ort hat alles, was den Sommer in der Stadt angenehm macht.  Wenn er optisch auch an bestimmte Szeneclubs erinnert, der „Klunkerkranich“ steht allen offen. Einen ähnlichen Weg sind die Macher der Bar „Deck 5“, die sich Freiluftrebellen nennen, auf den Schönhauser Allee Arcaden gegangen. Über den Dächern der Stadt kann man es sich auf dem Parkdeck 5 der Schönhauser Allee Arcaden gut gehen lassen. Zwei Bars bieten Cocktails und Snacks. Abends wird gegrillt. Loungeatmosphäre und Strandbarfeeling mit Liegestühlen in luftiger Höhe. 40 Tonnen Sand wurden hier verkippt.

Welche Faszination Dächer haben, davon haben sich auch die Architekten beim Umbau des Bikini Berlin inspirieren lassen. Das 25hours Hotel bekam die luftige Monkey Bar aufgesetzt. Einige Etagen tiefer bietet nebenan eine weitläufige, begrünte Dachterrasse Gastronomie und Zugang zu diversen Shops. Ein grandioser Blick ins Affengehege des Zoos inklusive. Temporäre jahreszeitlich geprägte Events locken zusätzlich Besucher. Im Winter gibt es dort eine Eislaufbahn, auch kann man sich im Eisstockschießen ausprobieren. Ein Sommerwochenende stand mit dem Flowermarket ganz im Zeichen von Blumen und Floristen. Neben Schnittblumen und floralen Accessoires wurden auch Workshops rund ums Blumenbinden und -stecken angeboten. Manches Mädchen hatte denn auch gleich den selbst gebastelten Blumenkranz im Haar.

Gerade Einkaufszentren bieten sich mit ihren gewaltigen Dachflächen also an, hier etwas Neues entstehen zu lassen. Doch nicht überall lässt es die Dachstatik zu, tonnenweise Sand oder Erde aufzuschütten. Die Architekten der Klax-Kita Karlsson vom Dach auf den Spandau Arcaden haben deshalb leichte innovative Baustoffe gewählt, um die Oberfläche des 1 000 Quadratmeter großen Spielplatzes zu modellieren. Neben Sandkästen und Schaukeln bilden sogenannte Spielwellen aus einem speziellen Schaumstoff die zentralen gestalterischen Elemente. Kunstrasen, Fallschutzbeläge und Holzstege ersetzen die natürlichen Materialien. In Kübel gepflanzte Bäume und an einer Pergola rankende Pflanzen müssen genügen. Damit der Abstieg vom Dach auch Spaß machen kann, haben die Architekten parallel zur Treppe eine Röhrenrutsche vorgesehen. Das Projekt war nominiert für den Architekturpreis Berlin 2016.

Rund ums Spielen dreht sich auch eine Dachnutzung der anderen Art. Auf dem Hellweg-Baumarkt in der Kreuzberger Yorckstraße ist ein Fußballplatz entstanden. Seit Jahren gibt es in der Stadt zu wenige Sportplätze. Trainingszeiten nach Feierabend sind Mangelware. Der junge Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist davon besonders betroffen. Heute trainiert hier unter anderem der Discover Football Club, ein unorthodoxer Frauenfußballverein, dem es ausdrücklich auch um ein Engagement gegen Sexismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit geht. Typisch Kreuzberg eben. Nun sind vonseiten der Bezirkspolitik Überlegungen aufgekommen, das Dach ganz den Fußballerinnen zu überlassen und die Männervereine „umzusiedeln“. Prompt kam Widerspruch. Warum Frauenfußball aufs Dach, wo ihn keiner sieht? Einen 8 700 Quadratmeter großen „Fußballhimmel“ gibt es seit Jahren auch auf dem Dach des Metro-Marktes in Friedrichshain. 

Last but not least bieten Dächer immer wieder auch Raum für den Wohnungsbau. Baufläche wird bekanntlich knapp in der Stadt.  Jede noch so kleine Baulücke wird derzeit geschlossen. Nachverdichtung ist angesagt. Durch Dachaufbau können bislang ungenutzte Flächen dazukommen. Auf dem Dach des Discounters Lidl an der Bornholmer Straße entstanden acht Mietwohnungen gehobenen Standards. Das Baurecht verbot an diesem Ort einen einstöckigen Flachdach-Markt. Es wäre ja auch pure Platzverschwendung gewesen. Der Pankower Grünen-Abgeordnete Andreas Otto hat errechnet: Wenn man auf 500 Supermärkten der Stadt jeweils 40 Wohnungen errichtete, käme man auf 20 000 neu gebaute. Ein Vergleich mit den Planungen zum Tempelhofer Feld ist in dem Zusammenhang erhellend. Dort wollte der Senat 4 700 neue Wohnungen bauen, was sich nach dem erfolgreichen Volksentscheid erst einmal erledigt hat. Wenngleich sich nicht jedes Dach zur Bebauung eignen dürfte, ist eins aber sicher: Dächer stellen ein enormes Potenzial dar. Und einen neuen Star unter den Dachterrassen dürfte Berlin demnächst auch bekommen, schließlich bauen wir nicht nur Wohnungen, sondern auch Schlösser. Das geplante Café auf dem Dach des Berliner Schlosses mit Blick auf Dom und Lustgarten wird unter Garantie einer der großen Anziehungspunkte der Stadt werden. 

Karen Schröder

 

68 - Winter 2016
Stadt