Ankunft des Grauens

Die Deutsche Bahn beleuchtet mit der Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ die Rolle der Reichsbahn während des Holocausts.

Ein Bahnsteig. Ein Pfiff. Die Kelle wird gehoben. Ein Zug schiebt sich langsam aus dem Bahnhof. Es ist ein Personenzug. Später sind es Güterzüge, fensterlos. Über drei Millionen Menschen wurden von der Deutschen Reichsbahn in Ghettos und Vernichtungslager transportiert. Der Güterbahnhof Grunewald etwa ist ein Ausgangsort, von dem ab 1941 einhundertfünfundachtzig Transporte abfuhren. Der Güterbahnhof Moabit ist ein weiterer. Am 19. Oktober 1942 fuhr von hier ein Zug nach Riga mit 959 Menschen. 140 Kinder mit dabei. Darunter Gert Rosenthal, der am 26.7.1932 geborene Bruder von Showmaster Hans Rosenthal. Gleich nach der Ankunft des Zuges wurden einige Männer zum Arbeitsdienst ausgesondert, die Mehrzahl aber wurde in den umliegenden Wäldern erschossen. Mehrmals in der Woche hängte man den planmäßigen Personenzügen vom Anhalter Bahnhof nach Dresden zwei Wagen zum Transport von Juden an. Die Menschen, die zu ihrer Abreise getrieben wurden, marschierten vom Ausgangspunkt der Sammellager durch die Stadt. Die hektische Reisetätigkeit, die die Nazis organisierten, war keine unsichtbare Aktion. Berlin, Wien, Köln, Duisburg, Göttingen sind nur einige wenige Städte, aus denen Kinder und ihre Eltern nach Auschwitz, Theresienstadt, Sobibor und Treblinka deportiert wurden.

Die Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ will daran erinnern, gemahnen und zur Auseinandersetzung anregen. Mit dem Bahnhof Potsdamer Platz ist Berlin die erste Station. Hier wurde die vierzig Schautafeln umfassende Ausstellung von der Bahnpersonalchefin Margret Suckale und von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee am 23. Januar eröffnet.

Obwohl gerade die Debatte darüber, ob eine solche Schau, die sich mit dem düsteren Kapitel der Unternehmensgeschichte als Teil deutscher Geschichte befasst, auf Bahnhöfen gezeigt werden sollte – Bahnchef Hartmut Mehdorn sprach sich dagegen aus –, wurde sie hier, selbst in ihrem Nischendasein, interessiert wahrgenommen.

Der berührende Teil der Ausstellung ist von Beate und Serge Klarsfeld zusammengestellt. Es werden Fotografien von Kindern gezeigt: weiße Krägelchen, aufmerksamer Blick in die Kamera. Ein Mädchen mit Teddybär auf dem Arm wird an seinem fünften Geburtstag fotografiert. Unter den Porträts stehen die Geburtsnamen und die Daten der Flucht, der Aufnahme in Sammellager, der Auslieferung, der Transporte in den Tod mit Nummer und Datum. Beate und Serge Klarsfeld hatten bereits auf zwanzig Bahnhöfen in Frankreich gemeinsam mit der Organisation der Töchter und Söhne deportierter französischer Juden ein Erinnern an 11000 deportierte jüdische Kinder arrangiert. Etliche Dokumente über das Verbleiben der Kinder sind Bestandteil auch der aktuellen Ausstellung. Das Hauptanliegen der französischen Holocaust-Forscherin und Publizistin Klarsfeld, die sich seit Jahren für das Gelingen der Wanderausstellung eingesetzt hatte, besteht darin, den vielen ihre Identität, ihre Namen und Lebensdaten zurückzugeben.

Es ist aber eine überzeugende Entscheidung nicht zuletzt der Bahnhistorikerin und Kuratorin Susanne Kill, dem Gedenken des Einzelnen auch die Darlegung der Fakten an die Seite zu stellen, mit denen die verhängnisvolle Symbiose von Wirtschaft und Staat in der NS-Diktatur sichtbar wird.

Juden wurden entsprechend der eigens dafür geschaffenen Rechtsvorschriften des Berufsbeamtentums (April 1933) und zwei Jahre später nach den Nürnberger Gesetzen vom Dienst suspendiert. Diese organisierte Umstrukturierung der Gesellschaft wurde ergänzt durch die meist eilfertige oder auch resignative „Selbstgleichschaltung“ der noch übrigen Belegschaften. So wird der Blick dafür geschärft, dass die „Ankunft des Grauens im Alltag“ (Tiefensee) auf der Basis klar fixierter Vorgaben, Durchführungsbestimmungen – inklusive der Kosten- und Sparplanungen – Kontrollen, Repressalien geregelt war. Enthusiastisch wiederum rief Reichsbahngeschäftsführer Julius Dorpmüller alle Eisenbahner auf, „ihre volle Kraft für die Nationale Regierung“ einzusetzen. Ein schmaler Rest Zivilcourage konnte die massenhafte Deportation nicht verhindern, aber, das ergänzt wiederum die Recherche von Beate Klarsfeld, er konnte Menschen retten helfen.

Die Wanderausstellung wurde in Kooperation mit dem Centrum Judaicum und dem Deutschen Technikmuseum zusammengestellt. Hinzugezogen wurden ebenfalls Dokumente aus der ständigen Bahn-Ausstellung in Nürnberg. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Roma, deren Verfolgung und Verschleppung auf einen Erlass Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 zurückgeht, sprach anlässlich der Ausstellungseröffnung von der notwendigen Erweiterung des Holocaust-Begriffs, der den Völkermord an den Sinti und Roma mit einschließe.

Die Ausstellung wird noch in Frankfurt, Münster, Halle und Stuttgart gezeigt.

Anita Wünschmann

 

34 - Frühjahr 2008