Keine Angst vor Farben

Putzig, kleinbürgerlich, schräg, fiktiv, dreieckig, erregend... Der Trendforscher und Professor für Farbgestaltung Axel Venn hat ein außergewöhnliches Wörterbuch geschrieben, in dem Wörter Farben zugeordnet werden.

Axel Venn geleitet seinen Besucher zu einem roséfarbenen Sessel: „Das ist der Interviewer-Platz!“ Er ist kombiniert mit einem roten Sofa. Nichts Knalliges, ein warmer Ton. EnglischRot? Würde man „gemütlich“ sagen? Begrifflichkeit in exakte Farbnuancen zu übersetzen, das leistet das Farbwörterbuch für 360 Adjektive, deren Farbentsprechung mit einer Auswahl von über tausend Kombinationen aus dem RAL-Farbensystem so exakt wie möglich übertragen wird.
In Korrespondenz zu dem modernen Dreisitzer ist ein Biedermeiersofa in zarten Streifen arrangiert, die Decke weiß, der Boden mit einem Rosen-Kelim bedeckt. Die Wand ist in hellem Grau gehalten, mit großformatigen Malereien des Hausherrn. Wohltuend empfängt den Besucher das Ambiente des Trendforschers. Die Atmosphäre würde man als „anregend“ beschreiben. Hier feiern die Farben ein Fest. Gegen Weiß habe er etwas. Jahrzehntelang habe es in „schrecklicher Weise als Rauhfaser-Pandemie das Leben bestimmt“, so Buchautor Venn. Es folgt Architektenschelte, weil der Verzicht auf „Neunmillionenneunhundertneunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig Farbtöne ein Vergehen an der Sinnesentwicklung“ sei. Ungefähr 10 Millionen Farbwerte sind für den erwachsenen Menschen unterscheidbar. Das schwere Nachschlagewerk erklärt neben den visuellen Farbeindrücken die sachlich verbindlichen Farbtonwerte mittels Farbfächer und RAL-Design-Kodierung. Jede Farbskala zeigt, inwiefern Farben als Instrument des Ausdrucks oder der Sprache gelten können, und belegt, dass nicht eine Farbe allein einen Begriff beschreiben kann, sondern erst die richtige Komposition der Farben den gewünschten Effekt erzielt. Der Begriff „Weltläufigkeit“ weist, so die Untersuchung, einen hohen Prozentsatz an Blautönen auf. Bei der „Leidenschaft“ herrschen zu 80 Prozent Rotnuancen vor: Schön, wild und leidenschaftlich sind die Rothaarigen, furchterregend die Krieger, rotköpfig der Choleriker.
Die Frage nach der Lieblingsfarbe sei eine Fiktion, ein Rudiment aus der Kindheit, als man gerade drei bis zehn Farben namentlich kannte. Tatsächlich bevorzuge man fast nie eine Einzelfarbe, sondern einen Klang. Die Vorlieben sind obendrein nicht stabil. „Sind Rottöne als Trend vorbei, wird auch vom einzelnen Rot fallengelassen“, behauptet der mit internationalen Design-Preisen geehrte Trendforscher, der auch sagt: „Die Kleidung folgt der Einrichtung oder der Hund dem neuen Sofa.“
Keine Angst vor Farben! Man darf sich nicht auf laute „Lippenstifttöne und reine Blütenfarben“ beschränken, sondern sollte sich auf einen Reichtum einlassen, der mit Weiß beginnt und mit Schwarz endet.

links: Von Blau-Violett bis zum eiskalten Türkis, dazwischen ein einsames Gelb – „Unterkühlt“ der Name rechts: Der Anblick macht gute Laune. Gelb steht an der Spitze. Frisches Grün trägt seinen Part. Der Name: „Freundlich“ [ © Callwey Verlag]

Farbe und Wohnen

Für die Auswahl der Wohnfarben erfindet der Farbexperte klangvolle Namen wie Salon Rendezvous oder Wonderland, um Farbtyp und Farbwert zu einem differenzierten Ganzen zu verbinden und damit eine möglichst genaue Wiedererkennung beim Verbraucher auslösen zu können.
Farbe und Wohnen, ein wichtiges Thema: „Man kann ein positives Wohlempfinden herbeiführen, wenn man mit sanften Tönen und ihren Abstufungen einen Wechsel von Anregung und Beruhigung herbeiführt“, sagt Venn. Es ginge um einen Ausgleich wie Ying und Yang und, farbkulturell betrachtet, um Assoziationen. „Sehen Sie hier! Das Rot ist sehr warm. Es kehrt hier im Stuhl als Rosé wieder. Es findet sich in den Blüten des Gemäldes und lebt vor dem Grau, spielt in die Bilder hinein, die, gegenüber platziert, eine Zwiesprache führen und mit dem Goldgelb der Lampenschirme Sympathie entfalten. Die Wohnräume des Farbexperten erinnern an Gemälde und Gärten: Dort ein Grün und da ein Gold, hier ein Rot, ein Grüngrau, Zitronengelb. Axel Venn benennt: „Nebelgrau, gedecktes Biotopgrün, Altsorbetweiß“. Weiß ist die Farbe der Moderne und bildet die Grundlage minimalistischer Räume. Es ermöglicht ein Schweben und erweitert den Raum ob der Projektionsmöglichkeit.
Axel Venn lehrt an der Hochschule in Hildesheim. Er ist kein Purist. Er kann sich für einen White Cube nicht erwärmen, eher polemisch erhitzen. Sein Plädoyer gilt den Farben, die er mindestens zwei Jahre im voraus erfolgreich „wahrsagen“ muss. Zweimal im Jahr kommen Scouts und Fachleute zusammen und filtern aus unzähligen Bildschnipseln Zukunftsprognosen heraus, nicht allein nur Farben, sondern thematische Trends: Asien sei solch ein Trendthema gewesen. Seit Ausbruch der Krise galt der Blick vermehrt den „eigenen ästhetischen Ressourcen“. Ironisch oder ernst gerieten Hirschgeweih und Kuckucksuhr sowie Fliegenpilz und Birkenwald ins nähere Umfeld. Nichts sei lustvoller, so sagt es der Mann mit den blauen Augen, als einen Trend zu kippen. Nach Brasilien kommt Afrika.
Man reibt sich manchmal die Augen, da ist eine neue Farbe schon allenthalben vorhanden. Herbeiposaunt. Etwa Gelb. Ein Schwefelgelb von Li Edelkoort, der Grande Dame der Trendforschung, ebenso wie von Axel Venn „vorhergesagt“ und von Farbgiganten wie etwa der dänischen Firma AkzoNobel als „Neues Gelb“ in die Welt entlassen. Es sei ein sehr „edler Ton, der sich den vorhandenen Graun-Nuancen belebend zur Seite stellt“. Gelb ist eine Farbe mit höchst ambivalenter Assoziationsgeschichte und wird subtil und sparsam eingesetzt. Das „Neue Gelb“ würde wie altes Messing riechen. Venn sagt: „Es gibt dem Purismus die Seele zurück.“

Anita Wünschmann

Informationen
Axel Venn / Janina Venn-Rosky
Das Farbwörterbuch. Die Farbigkeit der Begriffe.
Das Lexikon für Designer und Gestalter,
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Axel Venn / Janina Venn-Rosky
Farbvergnügen. Aktuelle Wohntrends,
14,95 Euro

46 - Frühjahr 2011