Sommer auf dem Land

Der Berliner ist in der glücklichen Lage, jedes Wochenende aufs Neue auszuknobeln, in welche Himmelsrichtung er denn auszuschwärmen gedenke. Ringsherum ist jede Menge Brandenburg. Viel Land, wenig Menschen.

Entdeckerseelen wittern Morgenluft, kleine und große Kinder grüne Abenteuer. Und die Wildnis hat System. Seit 2001 sind die Brandenburger Nationalen Naturlandschaften komplett: elf Naturparks, drei Biosphärenreservate und der Nationalpark Unteres Odertal. Damit steht ein Drittel der brandenburgischen Landesfläche unter Schutz. Der Ausflugsklassiker Spreewald gehört dazu und auch weniger populäre Gegenden wie die riesigen, der Natur überlassenen Flächen der ehemaligen Truppenübungsplätze, die verwunschenen Odertal-Auen im Nationalpark oder die Tagebau-Mondlandschaften in der Niederlausitz. Der weite Blick und die verlassenen Winkel sind es, die das Erlebnis Brandenburgs Natur prägen, und erlebbar machen es Hunderte Kilometer Rad-, Fuß-, Wasserwander- und Reitwege und Naturlehrpfade. Jodeln, Bogenschießen, Kräuterküche, Glühwürmchennacht, mit den Wölfen heulen und den Rothirschen brunften, unterwegs zu Sumpfschildkröten, Orchideen oder Großtrappen. Über 425 Veranstaltungen finden sich im gemeinsamen Jahresprogramm der Naturlandschaften. Dazu kommen Angebote von Naturführern, Gastronomen, Herrenhausbewohnern, Künstlern oder Wasserratten. Zum Beispiel in der Uckermark. Baden allein mit neugierigen Blessrallen, radeln und Äpfel vom Baum naschen, gelbe Rapsfelder kitzeln in der Nase. Hohlwege, von Schlehen und Weißdorn gesäumt, schlängeln sich durch sanftes Eiszeit rauf und runter. Hier ein überraschter Hase, dort ein Tümpel mit Rotbauchunken. Ein halbverfallenes Gutshaus blitzt durch das Laub 500 Jahre alter Linden. Drei Tipps von drei Uckermärker Naturführern.

Der Doppelte Boitzenburger

Tönt wie eine lokale Spezialität, ist es auch, aber nicht zum Essen. Das „Wandermagazin“ krönte den „Doppelten Boitzenburger“ 2009 zu Deutschlands schönster Tagestour. Schön daran ist, dass man sich entscheiden kann, ob man den Großen Boitzenburger (19,5 km) oder den Kleinen Boitzenburger (10,5 km) gehen möchte. Und was er an Schönheiten sonst so zu bieten hat, das zeigt dem interessierten Wandervogel der Experte Arno Schimmelpfennig. Es geht munter durch den Schlosspark Boitzenburg, zu einer Klosterruine und der Klostermühle, durch malerische Dörfer, Wälder und zu Aussichtspunkten weit übers Land. Uckermark Safari nennt Schimmelpfennig seine naturkundlichen Führungen, gespickt mit kenntnisreichen alten und neuen Geschichten der Region. Mit VW Bus und Haltepunkten an besonderen Natur- und Historienplätzen führt der Ranger und Erlebnispädagoge maximal acht Personen auf Entdeckertour. Dieser Umstand macht ein sehr individuelles Erleben möglich, die Route, deren Thema und Dauer, der Wunsch nach Rast und Picknick. Einer dieser besonderen Naturplätze ist ein über 500 Jahre alter Hutewald. Mächtige Eichen mit bis zu sieben Metern Stammumfang prägen diesen außergewöhnlichen Mischwald. Raritäten aus Flora und Fauna gibt es an einem sehr belebten Feuchtgebiet zu bestaunen. Zu den Historienplätzen gehören ein bronzezeitliches Fürstengrab oder eine mittelalterliche Wehrkirche, die auch Heimstatt gefiederter Nachtgreife ist. Schimmelpfennig stattet seine Begleiter mit Ferngläsern und Regenschutz aus, nimmt Bestimmungsbücher und Karten mit auf die Safari.

Auf Wanderschaft wie im Märchen

[Foto: Klaus-Peter Kappest]

Gleich vorneweg, der Esel als Begleiter durch die Landschaft des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin ist kein Muss, aber er ist der Hingucker. „Dass Esel zaubern können, wissen wir seit Tischlein deck Dich. Zauberte das Langohr dort Steaks und Spätzle – zauberte meine liebe Eselstute Elisa etwas viel Kostbareres, nämlich ein Lächeln auf die Gesichter aller, denen wir begegneten!“ Eltern können ihre wandermüden Kinder aufsitzen lassen. „Entspannen Sie bei Schrittgeschwindigkeit, entdecken Sie den Landmenschen in sich, Ihren Freunden und in Ihrer Familie“, so schwärmt Veranstalterin Katrin van Zwoll. Esel sind weder dumm noch störrisch, sondern treue und ruhige Wanderbegleiter. Sie sind freundlich zu Kindern, wenig schreckhaft und laufen gemächliche 3,5 Kilometer in der Stunde. Angeboten werden Tages- und Wochentouren, Kulinarische Touren und seit neuestem Touren mit Zelt. Nach einer Kennenlernphase von Mensch und Lasttier machen sich die Wanderer auf den Weg, Proviant, Karte und maximal 15 Kilo Gepäck dabei. An den einzelnen Stationen finden die Esel und Begleiter Quartier und Bewirtung. So kann z.B. eine Woche aussehen: Schlafen im Stelzenhaus, 15 Kilometer später in einer kleinen Pension, im Tipi, im Gutshaus und auf dem Schlafboden. Die Freundlichkeit der Herbergseltern wird im Gästebuch in höchsten Tönen gelobt, und allen fiel der Abschied vom Esel, der zum echten Gruppenmitgleid geworden war, sehr schwer.

Im Kanu auf Bibertour

[Foto: Klaus-Peter Kappest]

Wasserfeste Packtaschen, Autoschlüssel in einem im Notfall schwimmenden und mit dem Boot vertäuten Tönnchen, Schwimmwesten, die kleine Paddelschule vorneweg und eine Proberunde in Strandnähe geben das Gefühl von Sicherheit. Das Tor in eine andere Welt – so wirken die Schleusen, durch die man in die Wildnis der polnischen Polder hinein paddelt. Vorbei an Biberburgen und Froschkonzert, unter strenger Beobachtung von gelassenen Graureihern, entwickelt sich langsam die Wahrnehmung für die Geräusche und Farben der Natur, die hier ein nahezu unberührtes Dasein führt. Baumstämme versperren den Weg, fast zugewachsene Polder lassen einen durch eine dicke Suppe staken. Mit Armkraft durch das grüne Abenteuer. Im Zwischenoderland vor Mescherin entwickeln sich Tiere und Pflanzen seit fast 60 Jahren ungestört und bieten einen Naturraum wie aus dem Bilderbuch. Kaum irgendwo anders kann der Biber sein Umfeld so artgerecht gestalten wie in diesen Flussläufen. Frauke de Vere Bennett, Kanu-, Natur- und Landschaftsführerin in der abgeschiedenen Wildnis im Nationalpark Unteres Odertal, lässt die bittere Kalmuswurzel probieren, macht auf die schwimmenden Nester der Seeschwalben aufmerksam, hier ein Adlerhorst, dort der gelbe Teppich der Teichmummel. Die Kanutouren finden von Mai bis Oktober im Naturpark Stettiner Haff und im National-Park Unteres Odertal statt. Zu den Angeboten gehören auch Touren bei Sonnenuntergang und Mondschein, Biber sind dämmerungsaktive Tiere. Übrigens auch zu Fuß kann man sich von Frauke de Vere Bennett fachkundig durch wilde Landschaften führen lassen.

Brit Hartmann

Information:
www.reiseland-brandenburg.de
viele Informationen und Broschüren zum Herunterladen
Informations- und Vermittlungsservice Brandenburg:
Tel.: 0331- 200 47 47 (Buchung, Beratung)
„Lust auf NaTour – Angebote 2011“ www.grossschutzgebiete.brandenburg.de
mit Veranstaltungen und Adressen aller Besucherzentren der Nationalen
Naturlandschaften. Zunehmend werden auch barrierefreie Angebote entwickelt.

47 - Sommer 2011