Raumschiffe auf Bötzow

Eine unterirdische Einkaufswelt, eine gläserne Rollstuhl-Manufaktur und riesige Lofts: Die Pläne für die ehemalige Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg wirken auf den ersten Blick surreal. Doch der neue Eigentümer des Areals lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er seine Vision für das Industriedenkmal in die Realität umsetzen will.

Der Name New York fällt häufig, wenn Hans Georg Näder über seine Pläne für die einstige Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee spricht. Vom Chelsea Market in Manhattan hat er sich für das unterirdische Einkaufs-paradies inspirieren lassen; das Hotel Standard, ebenfalls in Manhattan, nennt er im Zusammenhang mit dem geplanten Boutique-Hotel; und für die gigantischen Lofts in den alten Brauereihallen hat er bereits Anfragen aus – jawohl – New York.

Dabei ist die ehemalige Bötzow-Brauerei eigentlich eine ur-berlinerische Institution. 1864 legte der junge Unternehmer Julius Bötzow auf dem Areal zwischen Prenzlauer Allee und Saarbrücker Straße die ersten Gewölbe­keller an, um das – damals noch an einem anderen Standort gebraute – untergärige Bier zu kühlen. 1884 kam ein Biergarten mit 6000 Plätzen hinzu, und 1885 begann Bötzow, auch an der Prenzlauer Allee Bier zu brauen. Damit trat die Bötzow-Brauerei in die Reihe anderer großer Brauereien am Prenzlauer Berg, der damals noch Windmühlenberg genannt wurde. Bedeutend waren zum Beispiel die Schultheiss-Brauerei, die jetzt die Kulturbrauerei beherbergt, die Königstadt-Brauerei, die heute von einer Genossenschaft als Gewerbeareal verwaltet wird, und die Brauerei Pfeffer, die jetzt als Pfefferberg vor allem kulturell genutzt wird.

In der Bötzow-Brauerei wird bereits seit 1949 kein Bier mehr gebraut. Zu DDR-Zeiten lagerten in den Kellern Zigaretten und Spirituosen, und in den letzten Jahren diente der Ort für Filmdrehs und als Schauplatz kultureller Veranstaltungen. Dass Kulturschaffende die Liegenschaft schätzen, ist kein Wunder: Neun Meter unter der Erdoberfläche erstreckt sich eine sakral anmutende Welt aus Gewölbekellern. Ein zurückgelassener Gabelstapler aus DDR-Produktion erinnert an die Vor-Wendezeit. Dass sich über zwanzig Jahre lang keine Nutzung für diesen Ort fand, erstaunt angesichts der Lage im begehrten Stadtteil Prenzlauer Berg. Immer wieder gab es Investoren mit Konzepten vom gigantischen Einkaufszentrum bis zu einer Wohn- und Gewerbestätte, die allesamt scheiterten. Somit konnte 2010 der Unternehmer Hans Georg Näder die Brauerei für 17 Millionen Euro erwerben.

Dafür, dass jetzt tatsächlich etwas passiert, spricht vor allem die Finanzkraft des neuen Eigentümers. Näder führt in dritter Generation die Geschäfte der Otto Bock Healthcare GmbH, des Weltmarktführers in technischer Orthopädie. Dass der wohlhabende Geschäftsmann in der Lage ist, auch spektakuläre Projekte zu realisieren, hat er bereits am Potsdamer Platz bewiesen: 2009 eröffnete er dort das auffällig gestaltete Science Center mit einer Ausstellung, die bisher weit über 300 000 Menschen besichtigt haben.

In die Entwicklung des Areals an der Prenzlauer Allee will Näder 80 Millionen Euro investieren – mit „Liebe, Zuneigung, Empathie und Engagement“, wie er sagt. Das Konzept für das jetzt Bötzow Berlin genannte
Projekt ist nach seinen Worten „Schritt für Schritt entstanden, befeuert von vielen Reisen und inspiriert vom Berlin-Feeling“. Es sieht eine Kombination von Büros, Einzelhandel, Restaurants, einem Hotel, Wohnungen und einem öffentlichen Skulpturenpark vor und soll vom Sommer dieses Jahres an umgesetzt werden.

Am meisten Aufsehen dürfte die Einkaufswelt in den Gewölbekellern erregen. Dabei schwebt Näder und seinen Beratern kein konventionelles Einkaufszentrum vor, sondern eine Marktatmosphäre mit ungewöhnlichen Geschäften und Bars. Um die Untergeschosse zu erschließen und zu belichten, wollen die Potsdamer Architekten Georg Marfels und Eric van Geisten gleichsam den Deckel über den Kellern abschneiden, so dass die Kunden die Läden und Res­taurants über eine barrierefreie Rampe erreichen können. Ob die Denkmalbehörden dieser Lösung zustimmen, muss sich allerdings noch zeigen.

Die erhalten gebliebenen Gebäudeteile an der Saarbrücker Straße wird das Unternehmen Otto Bock selbst nutzen – für eine Rollstuhl-Manufaktur und für die Marketingabteilung des Konzerns, die vom niedersächsischen Duderstadt in die Hauptstadt umziehen wird. Weitere Altbauteile gestaltet der Investor zu Lofts um. Auch hier verweigern sich Näder und seine Planer allen Konventionen: Weil die alten Hallen und Ställe nicht unterteilt werden, entstehen elf gigantische Lofts zwischen 280 und 1180 Quadratmetern Wohnfläche.

„Wir wollen Menschen aus der ganzen Welt animieren, hier ein Loft zu mieten“, sagt Näder. Eine „lebendige Community“ werde entstehen, wobei „die DNA der Bötzow-Brauerei“ erhalten bleibe. Die Sanierung wird deshalb die Spuren der Geschichte nicht übertünchen: „Den morbiden Charme“, so der Investor, „finde ich genial.“ Die geplanten Neubauten auf dem Geländeteil zur Prenzlauer Allee hin sollen nicht in Konkurrenz zu den Bestandsbauten treten: Angedacht ist, sie als amorphe, fast schwebende Baukörper zu konzipieren – gleichsam, so Näder, „als Raumschiffe, die auf Bötzow andocken“.

Als Investor oder Projektentwickler des üblichen Typs versteht sich Näder im Übrigen nicht: Er sei gekommen, um zu bleiben. Deshalb wird er auch selber eines der Lofts beziehen – und damit an die Tradition des Standorts anknüpfen: Schon der Brauereigründer Julius Bötzow ließ sich, statt im noblen Grunewald oder Dahlem zu residieren, auf dem Brauereigelände ein luxuriöses (im Zweiten Weltkrieg zerstörtes) Wohnhaus errichten.

Paul Munzinger

 


Informationen
www.boetzowberlin.de
 

50 - Frühjahr 2012