Neue Töne preisgekrönt

Nachwuchsförderung mit dem Berliner Opernpreis Wettbewerb von Gasag und Neuköllner Oper

Honolulu Vagamani ist Praktikant. Schon sein phantasievoller Name impliziert die schier überbordenden Anforderungen und Herausforderungen, die vor ihm stehen. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes ein „Taugeviel“ zu sein. Und nun das Tröstliche, er ist auch schon Gewinner, und man wird ihn kennenlernen. Und zwar am 6. Juni, beim Gala-Abend des Berliner Opernpreises, den die Neuköllner Oper und die Gasag seit vielen Jahren gemeinsam ausloben. Die „Kompanie [zwischen]“ hat mit dieser Idee und dem Konzept „Honolulu Vagamani“, einem Stück über das Leben eines Taugeviels, den Berliner Opernpreis gewonnen. Ein weiterer Preis geht an Anna Peschke mit „Mein chinesisches Herz singt dir ein Lied“.

Gut ein Jahr hatte die Kompanie Zeit, Honolulu Vagamani Leben einzuhauchen. Zum Ensemble gehören der Komponist Eleftherios Veniadis, die Tänzerinnen Raisa Kröger, Saskia und Rachel Oidtmann und die Schauspielerinnen Valentina Repetto und Eva Kessler. Keine Sänger? Das geht. Denn der Opernpreis fördert unter dem Begriff „New Deal“ einen erweiterten Opernbegriff. Hier sollen relevante Themen mit Mitteln der unterschiedlichsten Genres des Musiktheaters gestaltet werden. So ist er weit offen für alle neuen Kompositions- und Gestaltungsweisen.

Birgit Jammes von der Gasag fasziniert der Umstand, dass der Opernpreis geradezu dazu auffordert, dieses traditionelle Genre des Musiktheaters so kreativ zu erweitern. Vor 15 Jahren wurde der Preis zum ersten Mal vergeben, und das Berliner Unternehmen war von Anfang an dabei. Damals ging es vor allem darum, junge Komponisten in ihrem Bestreben zu fördern, neue und ungewöhnliche Töne in die Opernszenerie zu setzen. Mit der Zeit wandelte sich auch die moderne Oper, sie ist ein kollektives Produkt geworden, in dem Musik und Tanz, aber auch Schauspiel und andere künstlerische Formen selbstverständlich und gleichberechtigt ihren Platz haben.

Nachhaltige Kulturförderung

Der traditionsreiche Berliner Energiedienstleister beförderte diese Metamorphose der Oper mit seinem Engagement. „Wir unterstützen die junge Kulturszene in dieser Stadt, die kreativ nach Neuem sucht“, sagt Birgit Jammes, und sie verweist auch auf die Nachhaltigkeit des Engagements. In den 15 Jahren hat sich der Preis etabliert. Die Neuköllner Oper konnte so ihr Profil als außergewöhnlicher, kreativer Ort schärfen, an dem sich Kultur ausprobieren kann, an dem künstlerische Ideen entstehen, umge-setzt und manchmal auch wieder verworfen werden. So ermöglicht das Traditionsunternehmen – die Gasag existiert seit über 160 Jahren – junge Kunst. Typisch Berlin, da geht vieles selbstverständlich zusammen, was auf den ersten Blick ungewöhnlich scheint.

Bewerbung auf der Bühne

Rachel Oidtmann studierte in London Tanz, ist jetzt mitten in einem Studium der Theaterwissenschaften und erzählt, dass die Kompanie mit diesem Projekt Bewerbungssituationen ausloten wolle. Wie fühlt man sich davor, dabei und danach? Wie motiviert man sich beim x-ten Vorstellungsgespräch? Wie geht man mit der manchmal doch verzweifelt erscheinenden Situation um? „Das Stück“, so sagt sie, „wird einen tragisch-komischen Charakter haben“. Alle Künstler dieses Kollektivs bringen dabei auch ihre persönlichen Erfahrungen ein, alle sind Honolulu Vagamani. Aber es geht nicht nur um Kunstszene, schließlich muss man sich heutzutage auch beim Mieten einer Wohnung schon einem Interview stellen. Aber wie bringt man die einzelnen sehr individuellen Situationen in eine Form, die viele anspricht, die eine allgemeine Situation verdeut-licht? Die ganzheitliche, atmosphärische Darstellung der Situation des Prüflings soll spürbar werden. Ein Garant dafür, dass dies gelingen wird, ist sicher die Arbeitsweise der jungen Leute. Bei der Erarbeitung geht es gleichberechtigt zu, jeder ist Autor und Regisseur. Schauspiel, Tanz und Musik werden gemeinsam entwickelt. Da sind Bewegungssequenzen, die einer tonalen Untermalung bedürfen, ist Musik, die für sich steht, und sind Spielszenen, die aufrütteln oder komisch sind. Und alles kommt immer wieder auf den Prüfstand. Wäre es mit einem, der das Sagen hätte, nicht einfacher? „Die Arbeit wäre vielleicht nicht so zeitaufwendig“, räumt Rachel Oidtmann ein, „aber bei weitem nicht so kreativ für alle. Hier läuft alles über das gegenseitige Vertrauen. Natürlich fällen schauspielerische Entscheidungen die Schauspieler. Aber da wir gemeinsam darüber nachdenken, kommen wir auch auf ganz andere Ideen und Querverbindungen.“

Falsche Chinesin

Anna Peschkes Projekt „Mein chinesisches Herz singt dir ein Lied“ beinhaltet beides. Sie wurde zur Chinesin, ausgestattet mit Pass, Führerschein, Uni-Abschluss, Geburtsurkunde. Alles gefälscht – in China ist alles zu haben. So präpariert, versucht sie auch eine chinesische Identität anzunehmen. Dahinter steht die spannende Frage: Inwieweit lässt sich Identität bewusst konstruieren? Was macht Eigenständigkeit und Einzigartigkeit aus? Und wie lässt sich dies am besten testen? Klar, mit Musik. Sie spielt in jeder Kultur eine wichtige Rolle, und sie prägt einen von Kindesbeinen an. So hat sich Regisseurin und Performerin mit dem Komponisten Song Zhe und der Sängerin Li Ren, beide aus China, zusammengetan. Allerdings tauchen die drei nicht in die Tiefen der jahrtausendealten Tradition ab, sondern bleiben im Heute. Eine der beliebtesten musikalischen Freizeit­beschäftigungen der Chinesen, überhaupt der Asiaten, ist Karaoke. Anna Peschke benutzt nicht nur be­stehende Karaoke-Videos, sondern nimmt in Beijing auch Videos von Chinesen auf, wie sie selbst Karaoke singen. So kann ein Chor entstehen, wenn diese Aufnahmen gleichzeitig abgespielt werden. Peschke und die Sängerin Li Ren werden nicht nur Teil dieses Chores, sondern sie werden sich auch gegenseitig doppeln, und sie imitieren die jungen Frauen, die sich in den Musikvideos räkeln, sie imitieren den chinesischen Traum, wenn auch nur für wenige Minuten, ein Pop-Star zu sein. Und wo bleibt die Identität bei all dieser Imitation, bei all dem Angeschafften und Falschen? Vielleicht ist sie gar nicht so wichtig, wie man immer glauben machen will. Oder vielleicht kann man sie verändern, ab­legen, neu definieren? Anna Peschke wird mit ihren beiden chinesischen Kollegen versuchen, einen Teil einer Antwort zu geben.

Beide Projekte, so unterschiedlich sie vom Thema und der Umsetzung her sind, versprechen einen amüsanten und interessanten Opernabend. Beide Arbeiten werden nicht nur bei der Gala zu sehen sein, sondern sechs weitere Vorstellungen sind garantiert. Und letztlich muss auch die Jury noch mal ran: Sie kürt den absoluten Gewinner unter den Gewinnern.

Martina Krüger

 

Die öffentlichen Aufführungstermine des Berliner Opernpreises
Fr, 08.06., 20 Uhr; Sa, 09.06., 20 Uhr; So, 10.06., 20 Uhr; Di, 12.06., 20 Uhr; Mi, 13.06., 20 Uhr

Neuköllner Oper
Karl-Marx-Straße 131-133, 12043 Berlin

 

50 - Frühjahr 2012
Kultur